Totenruhe
die Öffentlichkeit - Helen ist im Ruhestand, und Irene und ich haben unserer Gastgeberin versprochen, dass wir kein Wort über das verlauten lassen, was wir heute Abend zu hören bekommen, Mr. Yeager.« Mit diesen Worten entschuldigte er sich und ging zu den anderen.
Helen musterte Kyle mit merkwürdiger Miene. Warren blickte drein, als schlüge ihm das Ganze auf den Magen, und Lily wirkte nachdenklich. Als ich zu Auburn hinübersah, hatte ich den Eindruck, als amüsierten sich die beiden über einen nur ihnen bekannten Witz. Dies erschien mir umso wahrscheinlicher, als er sagte: »Entschuldigen Sie mich, aber ich muss mit unserer Gastgeberin sprechen«, und davonging.
Neben mir sagte Kyle: »Tut mir Leid - ich wusste nicht, dass Sie Reporterin sind.«
»In den Augen bestimmter Leute hier aber keine besonders gute«, murmelte ich.
»Welcher Leute? O’Connor?«, fragte er. »Warum spielt denn seine Meinung eine so große Rolle? Mir ist sie nicht so wichtig.«
Ich hätte mich durch sein bereitwilliges Eintreten für mich eigentlich getröstet fühlen sollen, aber irgendwie vernahm ich einen Widerhall meiner eigenen Empörung in seinen Worten und merkte, dass mir eigentlich nicht gefiel, wie sich das anhörte.
Ich sah zu Helen hinüber, die eher uns beobachtete, als dass sie den anderen zugehört hätte, die um sie herumstanden.
»Wissen Sie was, Kyle? Mir ist seine Meinung schon wichtig. Er ist ein großartiger Reporter, den ich schon immer bewundert habe. Ich glaube, deshalb hat es mir auch so viel ausgemacht, als er meine Arbeit kritisiert hat. Aber ich habe vieles von dem verdient, was er gesagt hat, und er hat sich mehr als einmal dafür entschuldigt, also sollte ich eigentlich nicht weiter darauf herumreiten. Ich muss nach vorne schauen, Vergangenes begraben.«
»Das ist nicht immer leicht.«
»Nein«, erwiderte ich und lachte. »Aber ich mache ihn mir ohne triftigen Grund zum Feind. Es tut mir Leid, wenn er etwas Negatives über Ihren Vater geschrieben hat …«
»Nicht nötig. Wenn wir schon offen miteinander sprechen, kann ich Ihnen auch gleich verraten, dass ich nicht der größte Fan meines Vaters bin. Und O’Connor hat nie etwas Unzutreffendes über ihn geschrieben, soweit ich weiß. Hören Sie - sind Sie wirklich nicht als Reporterin hier?«
»Nein.«
Er grübelte über irgendetwas nach.
»Warum Geographie?«, fragte ich.
»Wie bitte?«, sagte er und wachte aus seinem Tagtraum auf.
»Ich weiß, warum Informatik ein angesagtes Studienfach ist, aber warum als Nebenfach Geographie?«
Er lächelte. »Wegen Professor George Demko. Ich bin in meinem ersten Studienjahr nur in sein Seminar gegangen, weil es in meinen Stundenplan gepasst hat. Sein Enthusiasmus muss wohl ansteckend gewesen sein. Und meine beiden Studienfächer
liegen gar nicht so weit auseinander, wie Sie vielleicht meinen.«
In den folgenden Minuten erzählte er mir etwas über Navigation, Polaris-U-Boote, Atomuhren und die Erfindung von etwas namens GPS-Satellit, von dem er sagte, dass es eines Tages dazu in der Lage sein müsste zu verhindern, dass man sich jemals wieder verirrt. Irgendwann konnte ich ihm nicht mehr folgen. Als er es merkte, lachte er und sagte: »Tut mir Leid - jetzt halten Sie mich wirklich für einen Spinner.«
»Ganz und gar nicht. Warum sollen Sie sich dafür entschuldigen, dass Sie intelligent sind? Ich bedauere nur, dass ich Ihnen nicht folgen konnte.«
»Wahrscheinlich bin ich jetzt auf das Thema GPS gekommen, weil ich über die Ducanes nachgedacht habe. Ist Ihnen die Geschichte geläufig?«
»Über Warrens Familie?« Ich schüttelte den Kopf.
»Sein Vater, seine Mutter und sein Bruder Todd - sie sind alle auf See umgekommen.«
»Das ist ja schrecklich«, sagte ich und sah zu Warren hinüber, der mit melancholischer Miene ein Porträt über dem Kaminsims betrachtete, ein Gemälde einer schönen jungen Frau, die mir irgendwie bekannt vorkam.
»Das ist Kathleen«, sagte Kyle über das Porträt. »Katy wurde sie, glaube ich, genannt. Mrs. Linworths Tochter, die auch bei dem Bootsunglück umgekommen ist. Sie war mit Todd Ducane verheiratet. Kennen Sie die Geschichte wirklich nicht?«
»Nein.«
»Also, ich kannte sie auch nicht, ehe mir Mr. Sheffield ein paar Artikel zu lesen gegeben hat. Übrigens haben O’Connor und Ihre Freundin Helen viele davon geschrieben. Eine traurige Geschichte.«
Er erzählte mir von der Nacht, in der sämtliche Passagiere der Sea Dreamer verschwunden waren und Max
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