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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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einer Organisation, die mir Informationen über die mit Künstlerartikeln verbundenen Gefahren geben konnte.
    Ich marschierte zu seinem Schreibtisch hinüber und fragte: »Halten Sie mich für dermaßen hilflos, dass ich meine Recherchen nicht selbst erledigen kann?«
    »Nein«, erwiderte er.
    Ich überlegte mir gerade etwas richtig Fieses, das ich ihm an den Kopf hätte werfen können, so was in der Richtung, dass er mich nicht mit kleinen Gefälligkeiten bestechen könne, da fügte er - als hätte er meine Gedanken gelesen - schon hinzu: »Ich weiß, dass Sie nicht vorhaben, eine Entschuldigung von mir zu akzeptieren, aber wir müssen hier zusammenarbeiten. Nutzen Sie die Information, wenn Sie sie brauchen können, und werfen Sie sie weg, wenn nicht. Ich bin sicher, Sie tun das, was für die Geschichte am besten ist.«
     
    Also nutzte ich sie. Ich war stolz auf das Ergebnis meiner Arbeit: einen Beitrag, der enthüllte, dass eine Highschool in Las Piernas ohne ausreichende Kontrolle und bei mangelhafter Belüftung im Kunstunterricht gefährliche Chemikalien verwendete, die beinahe den Tod eines Schülers verursacht hätten.
    H. G. lobte mich. John Walters lobte mich. Wrigley II. lobte mich. Letzteres erfüllte mich mit enormem Stolz, bis Wrigley den Text zur Überarbeitung an O’Connor weiterreichte und mir praktisch jede weitere Mitwirkung daran entzog.
    Noch mehr auf die Palme brachte mich, dass sich O’Connor darüber beschwerte, ehe ich es tat, sich dann aber hinsetzte
und einen wesentlich packenderen Artikel daraus machte. Er fand heraus, dass ein Lehrer von einer anderen Schule in unserem Landkreis dauerhaft arbeitsunfähig geschrieben war, und zwar vermutlich infolge anhaltenden Kontakts mit den gleichen Chemikalien. Ich hatte also nicht tief genug gegraben oder nicht in genug Richtungen.
    Ich ärgerte mich über mich selbst und war gerade zu dem Schluss gekommen, dass er ohnehin die gesamte Ehre allein verdient hatte, als ich von seinem nächsten Feldzug zu meinen Gunsten hörte. Noch bevor das Gebrüll zwischen O’Connor und Wrigley beendet war, wusste die ganze Redaktion, wer dafür gesorgt hatte, dass zum ersten Mal mein Name unter einem Artikel im Express erscheinen würde.
    Als Lydia mich - vor O’Connor - fragte, was für ein Gefühl es sei, erstmals den eigenen Namen genannt zu sehen, antwortete ich ihr, dass ich es weniger peinlich und schmerzhaft fände, beim Überqueren einer belebten Straße flach auf den Hintern zu fallen.
    Mein einziger Trost war das Stirnrunzeln, das diese Bemerkung in O’Connors Gesicht auslöste.
    Auch Lydia runzelte die Stirn, während sie ihm nachsah. »Was hast du denn?«, fragte sie.
    »Er mischt sich viel zu sehr in meine Karriere ein. Ich will mir meine Namensnennung selbst verdienen. Und ich will sie nicht mit diesem Trottel teilen.«
    »Er ist kein Trottel. Wenn du mich fragst, bist du der Trottel. Er hat etwas Unüberlegtes gesagt, aber das ist ihm sonnenklar, und außerdem war das, bevor er das mit deinem Vater gewusst hat.«
    Ich hatte das Gefühl, einen Eisblock verschluckt zu haben. »Was?«
    Sie zog genau die Miene, die jemand aufsetzt, der auf einmal merkt, dass eine richtig gute Idee in Wirklichkeit eine richtig schlechte Idee war. Man soll eben Zeppeline nicht mit Wasserstoff
füllen. Man soll eben nicht mit dem Kopf voran in unbekannte Gewässer springen. Man soll eben nicht jedem in der Arbeit von den gesundheitlichen Problemen des Vaters seiner besten Freundin erzählen. Sie brach den Blickkontakt ab.
    »Du hast ihm von meinem Vater erzählt?«, fragte ich entsetzt.
    »Nicht viel …«, sagte sie leise.
    Soll heißen: zu viel.
    Ich versuchte, ihr klar zu machen, dass es mir, auch wenn ich wusste, dass sie es gut meinte, lieber wäre, wenn Einzelheiten über mein Privatleben - und den Gesundheitszustand meines Vaters - nicht in der Redaktion die Runde machten. Als sie mir versicherte, dass O’Connor nicht der Typ war, der herumtratschte, erinnerte ich sie an die Katastrophe auf dem Klo.
    »Vergisst du das denn nie?«
    Das eigentliche Problem bestand darin, dass ich mir lieber O’Connors Respekt erworben hätte als sein Mitgefühl.
    Das war an einem Montag gewesen. Am nächsten Tag kam ich in die Redaktion und ging an meinen Schreibtisch, ohne eine einzige anzügliche Bemerkung, ohne ein einziges »Süße« zu hören und ohne einen einzigen giftigen Blick zu sehen. Ja, im ganzen Raum wurde es still, und dann hatten auf einmal alle ganz unheimlich

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