Totenruhe
aber keine Kettenraucherin. Rauchen galt damals als sexy, wissen Sie.«
»Können Sie sich an ihre Marke erinnern?«
»Nein, aber Lillian vielleicht.«
Widerwillig gab er mir Lillians Nummer, die er auswendig wusste, und ich rief sie vom Telefon im Konferenzraum aus an.
Sie war von den Neuigkeiten der letzten vierundzwanzig Stunden verständlicherweise betroffen, schien mir aber eher dankbar zu sein. Das wunderte mich, bis sie mir erklärte, dass es sie die letzten zwanzig Jahre gequält hatte, nicht zu wissen, was aus Katy geworden war. »Vielleicht werden ihre Mörder ja eines Tages bestraft. Conn hat gesagt, dass dieser Detective Lefebvre sehr gut sein soll.«
Ich bestätigte ihr, dass das stimmte, und arbeitete mich langsam zu der Frage nach Katys Zigarettenmarke vor. »Chesterfield«, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen.
Da fiel mir noch etwas anderes ein. »Hat sie ein Feuerzeug benutzt oder Streichhölzer?«
»Sie hatte ein ganz besonderes Feuerzeug. Ein Geschenk von Jack. Vergoldet und mit einem keltischen Muster - das war damals ziemlich ungewöhnlich.«
»Mit ihren Initialen darauf?«
»Nur der Buchstabe K, umgeben von einem keltischen Knoten.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, berichtete ich O’Connor, was sie gesagt hatte, und wandte mich wieder den Fotos von Katy zu. Was wäre wohl aus ihr geworden, wenn sie hätte weiterleben dürfen? Sie wäre jetzt über vierzig. Wäre sie in Würde älter geworden? Wäre sie eine hochnäsige Dame aus den besseren Kreisen geworden? Eine verbitterte Geschiedene? Eine Säule der Gesellschaft?
O’Connor hatte geschrieben, dass sie verwöhnt und eigensinnig, aber trotzdem eine lebendige, dynamische Person gewesen war, eine Frau, die andere zum Lachen oder wenigstens zum Lächeln brachte - und selbst wenn sie den Rest ihres Lebens nicht mehr getan hätte als das, waren wir dadurch, dass man sie ermordet hatte, alle um etwas beraubt worden.
Ich ging zum nächsten Stapel über. Er bestand aus Bildern, die offenbar in den Vierziger- und Fünfzigerjahren gemacht worden waren, zum Teil ohne dass die Abgelichteten es mitbekommen
hatten. Männer und Frauen in Kleidung nach der damaligen Mode. Zwanzig Jahre ändern nichts so sehr wie Styling und Frisuren. Ich erkannte niemanden auf den Bildern.
Mittlerweile war O’Connor fertig und rief mich zu sich. Er hatte einen Teil des Vormittags in der Stadtbücherei verbracht und zeigte mir als Erstes die Kopie einer Landkarte, die er dort gefunden hatte. Sie zeigte Las Piernas und Umgebung und stammte von 1955.
»Ich habe keine gefunden, die dem fraglichen Zeitraum genau entspricht«, sagte er. »Aber die hier tut’s schon.«
Schon bald war ich davon gefesselt, wie die Stadt damals ausgesehen hatte. Zum einen fehlte etwa die Hälfte aller heute existierenden Straßen, da die Reihenhäuser aus den Sechzigerund Siebzigerjahren noch nicht gebaut waren. O’Connor breitete auch zwei aktuellere Landkarten aus, eine von Las Piernas und die andere von Südkalifornien.
»›All things must change to something new, something strange‹«, zitierte er.
Ich blickte auf.
»Longfellow.«
»Oh.«
Er wirkte enttäuscht, dass ich nicht meinerseits ein Zitat des Dichters auf Lager hatte. »Haben Sie sich auf dem College intensiv mit Lyrik beschäftigt?«, fragte ich.
»War nie auf’nem College«, brummte er. Ohne ein weiteres Wort über Dichter oder Bildung zeigte er mir auf der alten Landkarte, wo Jack Corrigan gefunden worden war und wo er selbst später ganz in der Nähe die Leiche von Bo Jergenson gefunden hatte, einem der Männer, die Jack zusammengeschlagen hatten. »Helen, Jack und ich haben eine Menge Kleinkriminelle befragt, und Dan Norton mit seinen Kollegen auch. Nach und nach haben wir eine Liste von Leuten zusammenbekommen, die seinerzeit vielleicht mit Gus Ronden zu tun gehabt haben könnten. Jacks Erinnerung an die Ereignisse dieser
Nacht war verschwommen, aber wir haben recherchiert, dass er in einem Bel-Air von der Party verschleppt worden ist. Anhand von Beschreibungen, die ich von einem von Rondens Nachbarn sowie durch Auskünfte von anderen bekommen habe, habe ich erfahren, dass einer von Rondens Kumpanen ein gewisser Lew Hacker war, ein Latino, der einen Bel-Air gefahren hat.«
»Und das war einer von denen, die Jack zusammengeschlagen haben?«
»Ich bezweifle, dass er irgendetwas zu tun gehabt hat«, erwiderte O’Connor, »außer Jack festzuhalten, während dieser Kleiderschrank auf ihn eingedroschen
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