Totenruhe
zusammengekrümmt auf dem Boden. Er war gefesselt und geknebelt; Gesicht und Hemd waren voller Blut. Sofort kniete ich mich neben ihn. »Max!«
Seine Augen öffneten sich flatternd für einen Moment und
schlossen sich dann unter seinem Stöhnen wieder - das gleiche Stöhnen, das ich kurz zuvor vernommen hatte. Ich glaube nicht, dass er meine Anwesenheit wirklich registrierte. Er hatte eine Schnittwunde über der einen Augenbraue, doch irgendeine zweite Verletzung hatte dazu geführt, dass ihm Blut über Nacken und Rücken rann.
Ich wusste nicht, was ich als Erstes tun sollte. Ich blickte mich um. Wir befanden uns in einem unmöblierten Zimmer. Das ganze Haus stand leer - weder in den Badezimmern noch sonstwo würde ein Verbandskasten zu finden sein.
Ich versuchte, mich an meinen Erste-Hilfe-Kurs zu erinnern.
Luft. Jeder brauchte Luft. Voller Angst, dass der Knebel aus Isolierband ihm das Atmen erschwerte, beschloss ich, ihn zu entfernen. Ich machte die Taschenlampe aus und legte sie weg, da genug Licht durch die Fenster hereinkam. Mit beiden Händen, einer, um seine Haut festzuhalten, und der zweiten, um einen Zipfel des Isolierbands zu packen - wobei ich an seiner statt zusammenzuckte -, zog ich es ihm langsam von Haut und Mund ab. Das ließ ihn erneut aufstöhnen, doch seine Augen öffneten sich nicht.
Die Blutung. Ich musste versuchen, die Blutung zu stoppen.
Vorsichtig legte ich mir seinen Kopf auf den Schoß, zog ein Päckchen Taschentücher heraus und drückte ihm eines gegen die Schnittwunde an der Augenbraue. Sachte tastete ich mich durch seine Haare, bis ich die Verletzung an seinem Kopf gefunden hatte - eine klaffende Wunde am Hinterkopf, gegen die ich nun die restlichen Taschentücher presste. Schon bald waren sie voller Blut, genau wie meine Hände, mein Hosenanzug und meine Bluse. Ich zog die Jacke aus, um mit ihr Druck auszuüben.
Ich versuchte, seine Hände freizubekommen, die an den Gelenken mit Isolierband nach hinten gefesselt waren, doch dabei wäre beinahe sein Kopf auf den Boden gefallen, also gab ich es wieder auf.
Vielleicht sollte ich einfach zu einem Nachbarhaus gehen und Hilfe holen. Ich sah auf meine Bluse hinab. Würde in dieser versnobten Gegend überhaupt jemand die Tür aufmachen, wenn er durch den Türspion äugte und eine blutverschmierte Fremde auf der Veranda stehen sah? Da hatte ich meine Zweifel, aber vielleicht konnte ich jemandem begreiflich machen, dass er einen Krankenwagen rufen solle.
Während ich noch über dieser Entscheidung grübelte, flog hinter mir die Schranktür auf, und ein Mann mit einer Skimaske stürzte sich auf mich. Ehe ich zu etwas anderem imstande war, als ihn völlig perplex anzustarren, hatte er mir schon ein Tuch auf Mund und Nase gepresst, das mit einer süßlich-medizinisch riechenden Flüssigkeit getränkt war. Mit der zweiten Hand packte er meinen Hinterkopf und drückte ihn nach vorn in das Tuch. Ich versuchte, nach seinen Händen zu greifen, die in Handschuhen steckten, aber der Druck verstärkte sich nur noch. Rasch wurde mir schwindlig und leicht übel. Das Zimmer begann, hektisch um mich herumzuwirbeln - und mit ihm wirbelte meine Fähigkeit davon, klar zu denken. Ich hatte das seltsame Gefühl zu schweben, obwohl ich gegen die unbequeme Haltung ankämpfte. Die Angst schwand nicht - ein nacktes, kaltes Grauen, das durch meine Verwirrung nicht gelindert wurde. Binnen Sekunden merkte ich, dass ich kurz davor stand, das Bewusstsein zu verlieren, und versuchte, die Angst zu nutzen, um dagegen anzukämpfen. Jetzt wird mir doch noch schlecht, dachte ich. Vage bekam ich mit, wie ein zweites Paar behandschuhter Hände die meinen von der Hand wegzog, die mir das Tuch ins Gesicht presste.
Ich schwebte nicht in die Finsternis. Ich stürzte hinein.
44
O’Connor ertappte sich dabei, wie er vor sich hinschimpfte, und verstummte. War er jetzt schon so alt, dass er nicht mehr begriff, wie junge Leute waren, wenn sie frisch verliebt waren? Oder auch nur scharf aufeinander.
Sie war an diesem Nachmittag nach ihrem Treffen mit Max Ducane nicht in die Redaktion zurückgekommen. Er hatte nichts gegen Max - obwohl O’Connor sie seinetwegen ständig attackierte, mochte er den jungen Mann. Doch er hatte gehofft, sie würde ihre Pflichten bei der Zeitung so ernst nehmen, dass sie rechtzeitig zurückkam, um noch vor Redaktionsschluss ihren Beitrag abzuliefern.
Er hatte sie bei H. G. und den anderen gedeckt, indem er ihnen erzählt hatte, sie ginge
Weitere Kostenlose Bücher