Totenruhe
»Da hat mein Vater früher gearbeitet«, sagte O’Connor und zeigte hin. »Er hat mehrere von diesen Fördertürmen gebaut.«
»Die Arbeit auf den Ölfeldern ist mit die härteste Arbeit, die es gibt«, sagte Jack.
O’Connor nickte. »Mein Dad mag harte Arbeit. Maureen kann sich noch besser an ihn erinnern als ich - ich meine, daran, wie er vor seinem Unfall war. Damals hat er nie getrunken. Keinen Tropfen. Und sogar jetzt weiß ich … also, ich weiß, dass er es eigentlich gar nicht mag. Wissen Sie, was ich meine?«
»Ich glaube schon, ja.«
»Ich bete andauernd darum, dass ihn der liebe Gott wieder gesund macht. Und ich verstehe nicht, warum er das nicht tut. Ich meine, Jesus hat am Kreuz gelitten, aber schließlich hat er nicht jahrelang da oben hängen bleiben müssen, oder?«
»Ich bin nicht der Richtige, um dich über Religion zu belehren, Conn. Ich bin schon als Boxlehrer mies genug.«
Jack sah, dass der Junge zu einer ernsthaften Antwort ansetzte, doch genau in diesem Moment kam ein Red Car vorbei und ratterte die Schienen entlang bis zur nächsten Haltestelle.
»Was hast du gesagt?«
»Ich habe gesagt, nichts gegen Boxen - ich meine, ich habe nichts dagegen, es zu lernen. Aber was ich am allerliebsten von Ihnen lernen würde, Mr. Jack Corrigan, ist, wie man Zeitungsreporter wird.«
8
Die Schwester kam zurück, um nach Corrigan zu sehen, und brach den Bann, in den die Erinnerung O’Connor gezogen hatte. Sie versuchte, eine zweite Runde Spötteleien mit O’Connor einzuläuten, aber nach seiner dritten einsilbigen Antwort gab sie auf und ließ ihn mit Corrigan allein.
Er musterte Jack und staunte immer noch darüber, dass der Mann die Ambitionen eines achtjährigen Jungen so ernst genommen hatte. Er hatte O’Connor geraten, ein Tagebuch zu führen und zu notieren, was er jeden Tag gesehen und gehört hatte, verbunden mit seinen Gedanken über Themen, die sein Interesse weckten. »Das bleibt deine Privatsache«, hatte er erklärt. »Ich vertraue dir, dass du es von dir aus tust. Zusätzlich stelle ich dir Aufgaben, die du bei mir abgibst.«
An jenem Abend borgte sich O’Connor Papier von Maureen und schrieb: »Jack Corrigan hat gesagt, dass mir das hilft, Zeitungsreporter zu werden. Ich hoffe, er hat Recht. PS: Eine Stunde Boxunterricht hat er mir auch gegeben.« Eine Woche später bekam er ein Geschenk von Maureen, ein kleines stoffgebundenes Tagebuch mit Goldschnitt und einem Schloss. Sie hatte sich das Geld dafür verdient, indem sie für die Dame, bei
der ihre Mutter arbeitete, Flickarbeiten gemacht hatte, und O’Connor wusste, dass das Tagebuch garantiert ihre gesamten Ersparnisse aufgefressen hatte. Als er es ihr mit seinem Silberdollar zurückzahlen wollte, sagte sie: »Oh nein - gib niemals dein Glück her. Außerdem ist das eine Investition meinerseits. Ich möchte unbedingt damit prahlen können, dass mein Bruder der berühmte Zeitungsreporter Conn O’Connor ist, dessen Name auf der Titelseite des Express steht. Also tu, was Mr. Corrigan dir sagt, und schreib dieses Tagebuch voll.«
Mehrere Monate später hatte ein weiterer Besucher an seiner Ecke Halt gemacht.
Mitch Yeager stand da und musterte ihn einige endlose, quälende Minuten lang, ehe er ihn ansprach. O’Connor wusste, dass es Yeager geschafft hatte, sich aus den Anklagen wegen Beeinflussung von Geschworenen herauszuwinden, ein Thema, das Jack erbittert und ausführlich mit seinem Schützling diskutiert hatte. Yeager verfügte über Macht und mächtige Freunde. Laut Jack hatte er sogar Einfluss auf den alten Mr. Wrigley, da dieser - unter Druck von Anzeigenkunden, die Geschäftspartner von Mitch Yeager waren - Jack untersagt hatte, weitere Artikel über Yeager zu verfassen. Das machte O’Connor wütend, aber es brachte ihn auch zu der Überzeugung, dass Mitch Yeager jemand war, den man fürchten musste.
Nicht viel älter als Dermot, dachte O’Connor, als er ihn näher kommen sah. Doch Yeagers Jugend trug nicht dazu bei, den Mann auch nur geringfügig weicher zu machen.
Er stand da und starrte den Jungen an. Conn schluckte schwer und fragte: »Zeitung, Mister?«
Er hörte jemanden hinter sich lachen und sah Yeager mit finsterer Miene aufblicken. Als er sich umwandte, stand Jack Corrigan vor ihm.
»Schikanierst du jetzt schon Schulkinder, Mitch?«, fragte
Jack. »Wenn du anfängst, Wrigleys Zeitungsjungen zu belästigen, gibt er den Tintenfluss vielleicht bald wieder frei.«
»Für den Kleinen wäre es besser
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