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Totenruhe

Titel: Totenruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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sah, die liebe Menschen verloren hatten, wer wünschte da nicht, dass aller Mütter Söhne unversehrt nach Hause zurückkehrten? Eine seiner älteren Schwestern war Kriegerwitwe. O’Connor bedauerte lediglich, dass alles vorüber wäre, ehe er alt genug war, um sich freiwillig zu melden.
    Wenn der Krieg nicht bald zu Ende war, würde Maureen womöglich noch eine alte Jungfer werden und sich um ihre Eltern kümmern, bis sie zu alt zum Heiraten war. Er war siebzehn und fürchtete jetzt schon, dass Maureen sich mit dem Heiraten beeilen musste und ihr nur bis etwa zweiundzwanzig Zeit blieb, um einen Mann zu finden. Seine Mutter und die älteren Schwestern waren alle unter der Haube gewesen, ehe sie neunzehn wurden.
    Nur sie beide waren noch zu Hause, Conn und Maureen. Dermot war schon vor Jahren in eine eigene Wohnung gezogen.
Den größten Teil der Pflege für ihren Vater leisteten Maureen und seine Mutter. O’Connor rasierte ihn allerdings. Auch übernahm er viele häusliche Pflichten, die normalerweise seinem Vater zugefallen wären.
    O’Connor hatte sich gefreut, als Maureen die Stelle in der Fabrik angenommen hatte, da er glaubte, da werde sie mehr Männer kennen lernen. Sie war im Einkauf beschäftigt und trug folglich ein Kleid zur Arbeit. Seine Mutter hatte einen besser bezahlten Job, am Fließband, und trug Hosen, was seinen Dad fast zu einem Wutanfall veranlasst hätte, bis er die Lohntüte sah, die sie nach Hause brachte.
    Kleid hin oder her, langsam verlor er die Hoffnung für Maureen, denn er hatte bald begriffen, dass aufgrund des Krieges praktisch nur Frauen und alte Männer in der Flugzeugfabrik arbeiteten. Sie hatte keinerlei Aussicht darauf, einen Mann ihres Alters kennen zu lernen, höchstens einen mit einer Behinderung, die ihn als 4-F abstempelte. Sie erklärte ihm, dass er die Männer zu streng beurteilte, und wenn er nicht aufhörte, am Tor von Mercury Aircraft zu stehen und jeden Mann grollend anzusehen, der nach der Arbeit mit ihr plauderte, dann würde sie nie jemanden kennen lernen.
    Als er einmal beanstandete, dass ein Mann, mit dem sie ausgegangen war, 4-F war, erinnerte sie ihn daran, dass Jack seines Knöchels wegen auch 4-F war, doch sowie sie es ausgesprochen hatte, entschuldigte sie sich dafür. Sie wussten beide, wie schlimm es für Jack war, dass er sich nicht freiwillig melden konnte. Danach führte O’Connor nie wieder einen körperlichen Defekt als Grund dafür an, dass sie nicht mit jemandem ausgehen sollte. Da er ein Talent dafür hatte, Informationen über andere ausfindig zu machen, fiel es ihm nicht schwer, an jedem potenziellen Verehrer andere Kritikpunkte zu finden.
    Nach und nach keimte in ihm der Verdacht, dass sie ihm nichts mehr über die Männer erzählte, für die sie sich interessierte. Irgendwann fiel ihm auf, dass sie versteckt unter ihrer
Bluse ein herzförmiges Medaillon trug, das er eines Tages herausrutschen sah, als sie sich bückte, um ein heruntergefallenes Blatt aufzuheben. Er fragte sie danach, und sie erklärte ihm, sie habe es gekauft, damit sie nicht von Männern belästigt würde, da das Medaillon allen signalisierte, dass sie in festen Händen war. »Wer belästigt dich denn?«, wollte er erbost wissen.
    »Du!«, sagte sie.
    An diesem Freitagabend im April holte er sie nicht von der Arbeit ab. Er hatte einen Abend beim Express frei, und er hatte eine Verabredung. Schon seit Monaten war er einer von mehreren jungen Männern, die um die Aufmerksamkeit einer Mitschülerin namens Ethel Gibbs buhlten, und diese hatte schließlich eingewilligt, mit O’Connor auszugehen, der mit Sicherheit der schüchternste ihrer Bewunderer war. Maureen hatte sich vielleicht noch mehr darüber gefreut, dass ihr Bruder ein Rendezvous hatte, als er selbst. Eine Art stellvertretende Freude für sie, dachte er, da sie selten mit jemandem ausging.
    Wenn er jetzt daran zurückdachte, dann wusste er gar nicht mehr, wohin er Ethel eigentlich hatte ausführen wollen. Ja, er wusste nicht einmal mehr, warum er unbedingt mit ihr hatte ausgehen wollen, was es gewesen war, das sie für ihn so attraktiv hatte erscheinen lassen. Nur vage erinnerte er sich an ihr Gesicht.
    Allerdings konnte er sich nur allzu genau an den Moment erinnern, als ihre Mutter die Haustür geöffnet und den jungen Mann davor, der seinen besten Anzug trug und nach dem Rasierwasser seines Vaters roch, verblüfft angesehen hatte. Er erinnerte sich daran, wie Mrs. Gibbs rot angelaufen war und im Namen ihrer Tochter

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