Totenruhe
im Wrigley-Gebäude arbeiteten, abgesehen natürlich von der Belegschaft der News und ganz besonders deren Starreporterin, der Frau, die eines Nachmittags zur Ecke Broadway und Magnolia kam und fünfzehn fast unerträgliche Minuten lang O’Connor musterte.
Den Zeitungsjungen brachte das beinahe noch mehr aus der Ruhe als der Zwischenfall wenige Tage zuvor, als er gesehen hatte, wie Corrigan auf offener Straße von einem von Yeagers Männern angerempelt worden war, nicht lange nachdem Jack mit ihm gesprochen hatte. Ein Polizist hatte alles gesehen und eine Schlägerei verhindert. Doch er nahm nicht an, dass ihn ein Cop gegen Helen Swan in Schutz nehmen würde.
Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn musterte, doch diesmal steuerte sie zu seinem Entsetzen geradewegs auf ihn zu. Mit aller Kraft verkniff er es sich, sich zu bekreuzigen, während sie näher kam.
Er hatte Jack über sie ausgefragt, und Jack hatte gelacht und gesagt: »Swanie? Ach du liebe Zeit, als das erste Paar Hosen geschneidert worden ist, hat man es Swanie anprobieren lassen, um sicherzugehen, dass es robust genug für einen Mann ist.« Dann hatte Jack ihm zugezwinkert und gesagt: »Sie ist die Tochter einer Suffragette, weißt du.«
Das war ein Wort, dessen genaue Bedeutung O’Connor nicht klar war, aber er dachte sich, es hieße wahrscheinlich, dass ihre Mutter mit einem Suffkopf verheiratet gewesen war. Helen Swan sah nicht direkt bösartig aus, fand O’Connor, als sie näher kam. Trotzdem rief er nun nicht mehr die Schlagzeilen des Express aus, sondern stand einfach nur da und wartete auf sie. Helen Swan hatte etwas an sich, das einen zwang, sich ihr zuzuwenden, wenn sie das wollte. Sie war brünett und hatte
große braune Augen, von denen er den Blick nicht abwenden konnte. Zwar war sie nicht direkt schön, jedenfalls nicht in dem Sinn, wie es Lillian Vanderveer war, doch sie besaß einen ganz unverwechselbaren eigenen Stil. Für O’Connors Empfinden strahlte sie aus, dass jeder, der sich noch nicht vor ihr verbeugt oder einen Knicks gemacht hatte, dies bald nachholen würde.
»O’Connor, nicht wahr?«, sagte sie mit leiser, melodischer Stimme.
Er schluckte und nickte.
Sie lächelte. »Irgendwie weiß Jack Corrigan in letzter Zeit eine ganze Menge darüber, was sich an dieser Ecke abspielt.«
»Er ist ein guter Reporter«, entgegnete O’Connor loyal.
Helen Swan stieß ein leises, heiseres Lachen aus. »Ja, das ist er. Vollkommen schamlos, aber ein guter Reporter.« Sie machte Anstalten davonzugehen, wandte sich jedoch noch einmal um und sagte: »Richte Jack schöne Grüße von mir aus.«
O’Connor sah Corrigan erst am späten Abend wieder, und angesichts der Umstände verzichtete er darauf, Miss Swans Grüße auszurichten. Jack saß in einer Nische im hinteren Teil von Big Sarah’s, gegenüber von zwei Frauen. Eine kannte O’Connor: Lillian Vanderveer.
Die andere hatte O’Connor noch nie gesehen. Sie war auch blond, doch ihre Augen waren bierflaschenbraun. Sie hatte gerötete Wangen und lachte laut über irgendeine Bemerkung von Jack.
Big Sarah fing O’Connors Blick auf und schüttelte den Kopf. O’Connor wandte sich zum Gehen, doch Jack rief ihm nach.
»O’Connor! Nicht weglaufen.«
»Ach, Herrgott noch mal«, schimpfte Lillian. »Langsam bekomme ich das Gefühl, ich bin mit einem kleinen Kind liiert.«
»Sind Sie auch«, erwiderte Big Sarah, was Jack und die andere Frau erneut zum Lachen brachte.
Corrigan hatte getrunken. O’Connor nahm dies ohne große Bestürzung hin. Im Lauf der letzten Jahre, seit dem Unfall auf der Ölbohranlage, befand sich sein Vater auch oft in diesem Zustand. Jacks Stimmung erschien ihm allerdings heiter, nicht missmutig oder boshaft. Trotzdem hatte er schon lange gelernt, vor Männern in diesem Zustand auf der Hut zu sein, da er wusste, dass sich ihre Laune ohne jede Vorwarnung ändern konnte. Daher blieb er auch jetzt eine Armlänge entfernt von Jacks Tischseite vor der Nische stehen.
Corrigan blieb diese Distanz nicht verborgen. Der Reporter sagte zwar nichts, rieb sich jedoch nachdenklich das Kinn. O’Connor sah die Frauen an, die nun schwiegen.
»Mr. O’Connor«, begann Corrigan ohne eine Spur der Betrunkenheit, die Conn noch einen Augenblick zuvor an ihm wahrgenommen hatte, »darf ich vorstellen: Mrs. Ducane, eine gute Freundin von Miss Vanderveer.«
»Wie geht es Ihnen?«, fragte O’Connor.
»Hallo, Kleiner«, erwiderte die Frau lächelnd. »Sag ruhig Thelma zu mir. Du
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