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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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gerechnet hatte.
    »Noch etwas, Pieplow. Das Haus muss heute Nacht überwacht werden. Das übernehmen Sie. Ob Sie sich im Streifenwagen davor hocken oder es sich drinnen bequem machen, ist mir egal, für Letzteres brauchen Sie aber die Einwilligung von Frau Voss. Nicht, dass die uns aufs Dach steigt, weil Sie in ihrem Sesselchen gesessen haben.«
    Damit war Pieplow entlassen und konnte gehen. Am Haus vorbei, in dem es immer noch sägte und hämmerte, über die aufgewühlte Grasfläche, durch das Tor.

    Sie hatten oft schon wortlos nebeneinander gesessen. Weil sie sich gestritten hatten. Weil einer schlechte Laune schob. Meist Kästner. Oder weil es einfach nichts zu sagen gab. Aber jetzt wünschte Pieplow, Kästner möge endlich loslegen. Irgendwas Unflätiges brüllen. Auf das Armaturenbrett eindreschen. Seiner Wut Luft verschaffen, anstatt mit diesem drückenden Schweigen Pieplows Unbehagen immer stärker werden zu lassen. Über das, was Böhm sich herausnahm. Darüber, dass Kästner still hielt. Ausgerechnet Kästner, der Bollerkopp, der sich mit offenem Visier in jedes Getümmel stürzte. Sich mit bräsigen Pferdekutschern genauso anlegte wie mit saufenden Jugendlichen am Strand oder papageienbunten Schnöseln auf Mountainbikes im Naturschutzgebiet. Kein Mann für ausgetüftelte Strategien, eher berechenbar und einem wie Böhm anscheinend nicht gewachsen.
    Der Streifenwagen rollte den Mühlberg hinab. Über den Kirchweg schob sich eine Schiffsladung Tagesausflügler, und Pieplow wartete geduldig, bis sie sich rechts und links auf Buden und Läden verteilte.
    Bernsteinschmuck. Seidentücher. Buddelschiffe.
    »Soll ich Berliner holen?« Wenn sie schon im Schritttempo am Bäcker vorbeirollten, konnten sie die Gelegenheit auch nutzen.
    »Nee.«
    »Kirschschnecken?«
    »Für mich nicht.«
    Wenigstens spricht er wieder, stellte Pieplow erleichtert fest und bremste. Wartete ab, dass ein Urlauberpulk sich zwischen Buchhandlung und Wieseneck entschied. Buch oder Bier, das war hier wohl die Frage.
    Die Horde vor dem Hauptmann-Haus wirkte nicht so, als interessiere sie sich für den Dichter. Eher schon die Jungs für die Mädchen, vor denen sie herumtobten wie junge Stiere. Dann doch lieber Dorfpolizist, dachte Pieplow beim Blick auf den Lehrer, der mit erhobenen Armen vor dem Kartenhäuschen stand und einen Streifen Billetts schwenkte.
    Zwischen Heimatmuseum und Nationalparkhaus war es endlich soweit.
    »Der hat sie doch nicht mehr alle!« Kästner hatte die Liste mit den Hochbetagten aufgerollt, und es klatschte hohl, als er damit auf das Armaturenbrett schlug. »Der kann sich seine Adressen sonst wohin stecken! Als wenn wir nicht ohne seinen Scheiß-Computer wüssten, wer hier über achtzig ist!«
    Eben nicht, dachte Pieplow. Selbst Kästner würde erstaunt sein, wenn er sich beruhigt hatte. Einhundertdrei Namen standen auf der Liste. Es würde einige Zeit dauern, die alle abzuklappern, selbst wenn es nicht überall Kaffee und Kekse gab. Ganz egal, auf welche Sorte Hiddenseer man traf. Die Redseligen, die vom Hütchen aufs Stöckchen kamen und nicht aufhörten, bevor alle Familienanekdoten und Inselgerüchte erzählt waren. Oder die Einsilbigen, die sich jeden Satz abringen ließen und am liebsten überhaupt nichts sagten.

    Der olle Niemann öffnete seinen Mund nur für das Notwendigste. Pfeife rein oder raus. Essen und Trinken, am liebsten Köm. Alles andere war überflüssiger Weiberkram. Wenn zehn oder zwölf Sätze genügten, um bei Orkan ein Schiff heil nach Hause zu bringen, mussten drei, vier Wörter für das Leben an Land reichen. Erst recht mittags bei Windstille, wenn man komfortabel am Bollwerk in der Sonne saß und anderen bei der Arbeit zusah.
    »Tag, Fiete.« Pieplow begnügte sich mit einem Kopfnicken des Alten als Antwort auf seine Begrüßung und setzte sich neben ihn. Eine Weile warmschweigen musste schon sein, sonst bekam Fritz Niemann die Zähne überhaupt nicht auseinander.
    »Du kannst dir vielleicht denken, weswegen ich komme«, sagte Pieplow schließlich, während sein Blick einem Möwenschwarm folgte, der zeternd Richtung Bodden davonzog.
    Schulterzucken. Aus den Mundwinkeln neben dem grau gekauten Mundstück Rauchstöße.
    »Es geht um das Schlesinger-Haus. Wir haben einen Toten darunter gefunden.«
    Kopfnicken. Als ob das noch eine Neuigkeit wäre. Fritz Niemann fasste nach seiner Pfeife. Stopfte Tabak nach. Steckte sie zurück in den Mund. Was hatte er mit anderer Leute Leichen zu

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