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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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müssten. Stralsund ginge ja noch, aber Rostock? Oder Berlin?« Sie wackelte missbilligend mit dem Kopf.
    Pieplow stand auf, ließ sich die Hand schütteln, nach seinem und Kästners Befinden fragen und stimmte ihr zu, als sie auf das Thema zurückkam. Gewiss, eine Leichensache in Rostock oder Berlin war etwas ganz anderes. Wohl kaum so idyllisch und meistens in schlechterer Luft.
    »Die können ja auch ganz furchtbar stinken, nicht wahr?« Waltraud setzte sich und sah Pieplow über den Rosenstrauß hinweg an.
    »Allerdings«, stimmte er zu, ohne über eigene Erfahrungen mit stinkenden Leichen zu verfügen. Er hatte bisher nur Tote gesehen, die frisch gewaschen auf ihrem Sargkissen lagen, oder er hatte sie aus Unfallautos geborgen. Aber das war lange her und ihm aus ganz anderen Gründen aufs Gemüt geschlagen.
    »Aber der unterm Schlesinger-Haus wird nicht mehr stinken. Sagt wenigstens der Professor«, versicherte Waltraud Pape.
    »Welcher Professor?«, fragte Pieplow, obwohl er ahnte, von wem sie sprach.
    »Professor Dahlke natürlich. Oder gibt es noch einen anderen, der was dazu zu sagen hat?« Aus braunen Elsternaugen flitzte ihr Blick durch den Garten zum Zaun und zu Pieplow zurück.
    Hilde Gottschalk erschien mit Apfelkuchen und Kaffee und verhalf ihm damit zu einer Denkpause.
    »Nicht, dass Sie jetzt denken, der Professor spricht mit uns über die Ermittlungen. Er hat sich hier einquartiert, weil ihm der Weg nach Greifswald zu weit ist, und Sie wissen ja, wie meine Mutter ist, sie löchert andere gern mit …«
    »Quickelquackel!«, fiel Waltraud ihrer Tochter ins Wort. »Man wird vielleicht noch fragen dürfen. Du siehst doch, dass den Herrn Wachtmeister interessiert, was ich weiß, sonst wäre er schließlich nicht hier.«
    »Ja, Mutter.« Hilde klang leidgeprüft. Bevor es noch unbehaglicher werden konnte, überließ sie ihrer Mutter das Feld. »Greifen Sie zu, Herr Pieplow, es ist genug da. Wenn Sie mich brauchen – ich bin im Haus.«
    Waltraud sah ihrer Tochter nach. »Von dem, worum es geht, hat sie nicht die leiseste Ahnung. Sie ist erst nach dem Krieg geboren. Da stand das Schlesinger-Haus schon zehn Jahre. Also wozu sollten wir sie brauchen?«
    Pieplow zog es vor, sich schweigend seinem Apfelkuchen zu widmen, und hoffte, dass Waltraud Pape auch ohne sein Zutun auf das Haus und seine Vorgeschichte zu sprechen kam. Doch bevor es so weit war, legte sie ihm noch einmal Kuchen nach und stippte mit dem Zeigefinger die Krümel vom Tischtuch.
    »Wenn ich mich an etwas erinnern will, überlege ich meistens erstmal, ob es in der Zeit, um die es geht, wichtige Ereignisse gab. Dann rechne ich vor oder zurück, und schon hab ich’s. Aber 1939? Da muss ich nicht lange nachdenken. Im März wurde ich einundzwanzig. Deswegen weiß ich, dass im Frühjahr bei Schlesingers ausgeschachtet wurde. Im April haben wir geheiratet, Ernst und ich, noch schnell vor der Saison, und da war dort drüben schon Baustelle. Es war viel los in dem Sommer. Grade so, als wollten sich alle noch mal erholen und amüsieren, bevor der Krieg losging. Ich glaube nicht, dass Sie Zeit genug haben, sich alles anzuhören, was mir zu diesem Jahr einfällt.«
    Pieplow ließ es darauf ankommen. Dass ganz Kloster in jenen Jahren eine einzige Baustelle gewesen war. Erst die Siedlung, in der sie gerade bei Kaffee und Kuchen saßen, dann der Hucke-Damm und die Flak-Stellung samt Bunker und allem Drum und Dran. Tonnenweise Sand, Steine, Zement und überall grauer Staub. Aber davon habe sich niemand die Stimmung verderben lassen. Die Gäste nicht, die noch zahlreicher als in den Jahren zuvor kamen, schiffeweise Kraft durch Freude, morgens rauf auf die Insel und abends zurück nach Stralsund. Und die Hiddenseer auch nicht, die Feste nun einmal gern feierten, wie sie fielen. Irgendwas gab es immer zu weihen, zu bejubeln oder zu begehen. Fahnen, Schiffe, Sonnenwende, Erntedank, Tag der Arbeit.
    Pieplow rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Je länger er zuhörte, umso mulmiger fühlte er sich. Nicht nur, dass er Böhm würde erklären müssen, warum er mehr als eine Stunde damit zugebracht hatte, sich Vorkriegsgeschichten auftischen zu lassen. Ihm verdarben auch die Bilder von Aufbruch und Frohsinn, die Waltraud Pape von der Insel malte, die Stimmung. Als habe es das Grauen am Horizont nicht gegeben.
    »Die Saison lief gut«, fuhr sie unbekümmert fort. »Stammgäste, Ausflügler, die Familien der Fliegerhorststaffel drüben vom Bug. Es gab viel Trubel auf

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