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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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schaffen.
    »In dem Jahr, als das Haus gebaut wurde, warst du vierzehn. Es könnte doch sein, dass du dich daran erinnerst, wer dort gearbeitet hat. Ob es Streit gab. Gerede. Oder irgendwelche Gerüchte. Euer Haus liegt nur hundert Meter weiter den Hügel hinauf. Du musst jeden Tag an der Baustelle vorbeigekommen sein.«
    »Das ganze Dorf war eine Baustelle damals«, brummte der Alte abweisend. »Und Streit gab’s immer mal. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.«
    »Was meinst du damit, dass es immer mal Streit gegeben hat?«
    »Es waren eben viele Fremde hier.«
    »Aber das ist doch immer so.«
    »Keine Gäste. Fremde Arbeiter. Zusammengepfercht in Baracken und schnell auf Krawall gebürstet. Ein paar Hundert werden es wohl gewesen sein über die Zeit. Erst der Hucke-Damm, dann die Siedlung und der Bunker oben am Enddorn, das brauchte viele Leute. Und die waren von einem anderen Schlag als die Sommergäste, das kannst du mir glauben.« Nach einer so langen Rede musste die Pfeife neu versorgt werden. Fritz Niemann tat das genauso sorgfältig wie umständlich. Stocherte mit dem Pfeifenbesteck im Tabak herum. Zog probehalber. Stocherte wieder.
     
    Was sollte er mehr dazu sagen. Es waren ziemlich ungehobelte Burschen gewesen, die damals tonnenweise Steine vom Bollwerk fortschafften. Findlinge von Fehmarn und Granit aus Schweden zur Hucke. Eisen und Zement für den Bunker am Enddorn. Schwere Arbeit für gutes Geld, das abends durch die Kehlen gejagt wurde.
    Dass die Schwestern bei Dunkelheit nicht mehr aus dem Haus durften, daran erinnerte er sich, und auch daran, dass er ahnte, warum.
    Wenn er nachts nach seinen Aalangeln am Bodden sah, begegneten sie ihm manchmal. Dann huschte er hinter eine Hausecke oder ein Gebüsch, weil sie mit ihrem betrunkenen Gegröle und ihrem derben Gelächter sogar ihm unheimlich waren. Verglichen mit ihren ochsenstarken, muskulösen Körpern fühlte er sich wie ein halber Hering, mit dem sie jeden Schabernack treiben konnten. Seit sie ihm einmal die Aale abgenommen und ihn um seinen Tagesverdienst gebracht hatten, nur um mit den glitschigen Leibern ihre zotigen Scherze zu machen, ging er ihnen aus dem Weg.
     
    Fritz Niemann hob den Blick von der Tabakglut in seiner Pfeife und musterte Pieplow, als müsse er sich besinnen, was der Polizist neben ihm auf der Bank wollte. Dass er nicht unnötig sabbelte, verdiente Respekt, fand der Alte, weil nicht alle Jungen sich aufs Abwarten verstanden. Aber der hier vertrug eine Denkpause, nach der es dort weitergehen konnte, wo einem das Sinnieren dazwischengekommen war.
    »Wenn von denen einer verschwand, egal wohin, dann hat sich wohl niemand so recht drum geschert. Wurde eben ein anderer angeheuert, der blieb, solange er die Arbeit schaffte oder bis sich etwas Besseres fand. Aber solange die da waren, gab’s immer mal Streit. Um die Zeche. Weil sie sich bei irgendwas gegenseitig in die Quere kamen. Wegen eines Mädchens. Ich weiß aber nicht, was das mit eurer Leiche zu tun haben soll.«
    »Wahrscheinlich nichts. Trotzdem schönen Dank, Fiete. Irgendwo muss man ja anfangen, und du …«
    »Da wärst du besser zu Waltraud gegangen«, unterbrach ihn der Alte. »Wenn jemand was weiß, dann die.«
    Pieplow nickte. Waltraud Pape stand als Nächste auf seiner Liste. Das Papesche Grundstück lag nicht so nah am Schlesinger-Haus wie das Niemannsche, aber dafür war Waltraud Pape neugieriger als alle Niemanns zusammen.

    Pieplow bezweifelte, dass der Tisch für ihn gedeckt war. Strohblumenmuster. Genau wie zu Hause bei besonderen Gelegenheiten. Zwei Gedecke, dazwischen in einem zweckentfremdeten bauchigen Milchkrug Rosen und Schleierkraut.
    »Nein, Sie stören nicht. Suchen Sie sich einen Platz aus. Ich sage Mutter Bescheid, dass Sie da sind.«
    Hilde Gottschalk, geborene Pape, verschwand Richtung Haus, drehte sich auf halbem Weg noch einmal um und erkundigte sich, ob es ihm recht sei, wenn es zum Kaffee ein Stück frischen Apfelkuchen gab.
    War es. Ebenso wie der windgeschützte Platz im Papeschen Garten mit dem Baum voller Schneewittchenäpfel, glänzend grün auf der einen, burgunderrot auf der anderen Seite, und dem Kater, der darunter auf der Lauer lag.
    »Da seien Sie mal froh, dass Sie hier Polizist sind!« Waltraud Pape schlich in ihren Hausschuhen genauso leise wie der Kater. Trotzdem stoben die Sperlinge auf, und der Kater verzog sich enttäuscht ins Gebüsch. »Stellen Sie sich vor, was Sie zu sehen bekämen, wenn Sie in der Stadt ermitteln

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