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Totenseelen

Totenseelen

Titel: Totenseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Lautenbach
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nicht?« Pieplow massierte sich den verspannten Nacken. Noch eine Nacht im Sessel, und er würde eine Halskrause brauchen wie nach einem Auffahrunfall.
    »Nein. Ich fand die Geschichte zwar sehr spannend, aber nach Einzelheiten wollte ich nicht fragen. Entweder die Leute hier erzählen freiwillig, oder man tut gut daran, ihr Schweigen zu respektieren.«
    Allerdings, dachte Pieplow und auch, dass es in dieser Angelegenheit eigentlich nichts nachzufragen gab. Ein Unglück, hatte Andrea gesagt. Kein Verbrechen. So was war tragisch, kam aber nun mal vor. Wozu also unnötig in alten Geschichten rumstochern, bei denen er auch nicht die Spur einer Verbindung zum Toten in Kloster herstellen konnte. Er überließ das Kombinieren und Schlussfolgern besser Böhm und seinen Leuten. Die wurden schließlich dafür bezahlt und konnten im Gegensatz zu ihm nach getaner Arbeit wieder verschwinden, ohne sich um den Dreck kümmern zu müssen, den sie aufgewirbelt hatten. Trotzdem … noch ein verirrtes Mädchen … ein gewaltsamer Tod …
    Pieplow nahm sich vor, in einer ruhigen Stunde gründlich darüber nachzudenken, was ihn immer wieder trieb, sich in Dinge zu verbeißen, die ihm gleichgültig sein konnten.
    »Kannst du mir verraten, wozu das gut sein soll?«, wollte Kästner wissen, als Pieplow wegen Otto Brand nachhakte.
    »Nee, kann ich nicht. Sagen wir einfach der Vollständigkeit halber, für die Rubrik besondere Vorkommnisse.«
    Kästner schüttelte verständnislos den Kopf. »Du erlaubst aber, dass ich hier auf dich warte, bis du deine Ermittlungen abgeschlossen hast.« Er angelte sich die Zeitung, um sich demonstrativ dahinter zu verschanzen.
    »Moment, Daniel! Ich komme mit.« Andrea schob ihren Stuhl zurück und erhob sich. »Es ist zwar nicht weit, aber dann brauchst du nicht zu suchen.« Den erbosten Blick ihres Mannes quittierte sie mit dem selbstbewussten Lächeln, das Pieplow so gut an ihr gefiel.
    Sie gingen auf ein Haus zu, das schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben musste. Frisch gestrichenes Mauerwerk. Zwei neue Fenster neben einem, aus dem der Kitt herausbröckelte. Helle Flecken im Dach zeigten, wo neues Stroh aufgebracht worden war. Im Durchgang zum Nachbarhaus segelte Bettwäsche im Wind. Fast trocken, stellte Pieplow fest, als ihn ein Laken streifte. Dabei war es noch nicht mal neun Uhr.
    Auf der Südseite saß Otto Brand auf der Hausbank neben der Tür. Die Schiffermütze in die runzlige Stirn gezogen, sah er erst auf, als sie direkt neben ihm standen.
    »Morgen, Otto!«, rief Andrea so laut und deutlich, dass Pieplow wusste, was auf ihn zukam.
    »Was wollt ihr denn?« Krummgearbeitete Finger schlossen sich um Andreas Hand. »Käthe ist drinnen.« Frauen zu Frauen und Männer zu Männern. So war’s am besten, wenn Besuch kam.
    Pieplow warf einen Blick durch das offene Küchenfenster. Käthe Brand saß am Tisch und schälte Kartoffeln. Drei Heringe, geköpft und ausgenommen, lagen schon bratfertig auf einem Teller. Mittagessen spätestens um halb zwölf, genau wie bei Großmutter Pieplow. Sogar die fette getigerte Katze passte ins Bild, die mit lustvoll geschlossenen Augen an einem Fischkopf herumkaute.
    Pieplow setzte sich zu Otto Brand auf die Bank. Den Kopf dicht neben dem alten Gesicht mit grauen Stoppeln zwischen den dunklen Furchen, sprach er langsam und laut genug, dass auch noch die Nachbarn hören konnten, worum es ging.
    »Besondere Vorkommnisse. So. Na ja.« Otto Brand ließ sich Zeit. Aus schmal zusammengekniffenen Augen ließ er den Blick wandern. Über eine mannshohe Silberdistel hinweg, zwischen den weiter vorn liegenden Häusern hindurch auf den Bodden hinaus. »Du hast wohl keine Schwester?«
    »Doch«, sagte Pieplow, obwohl er nicht wusste, was das zur Sache tat. »Zwei sogar.« Seine Augen folgten dem Greisenblick südwestwärts, dorthin, wo sich hinter niedrigem Wald der Gellen bis dicht vor den Darß schob.
    »Können ziemliche Nervensägen sein«, nuschelte der Alte. Seine klobige Schuhspitze ditschte den Katzenfutterrest beiseite. Dem Fischkopf fehlten jetzt Augen und Haut.
    »Mmh«, machte Pieplow. Er wollte sich nicht ablenken lassen, auch wenn dieser Platz in der Wärme des Spätsommermorgens wie geschaffen war, um die Gedanken schweifen zu lassen. Zurück in die eigene Kindheit, auf die Hafenmole mit den Autoreifen am fransig gestoßenen Holz der Poller. In die schlickigen Schilfbuchten am Bodden und ins Geflecht der Waldwege, an deren Ende mit jedem Meter, den das Rad

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