Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)
gesagt.«
»Aber das denkst du.« Kieling sah nachdenklich nach Westen und hing ein paar Sekunden anderen Gedanken nach, bevor er sich wieder an Greta wandte. »Du hast gebetet, dass alles gutgeht. Und ihr gerettet werdet, nicht wahr?«
»Ja.«
»Glaubst du, er hat dich gehört?«
»Ich weiß es nicht.«
»Nun gut. Bald werden wir es wissen. Freust du dich auf die Amerikaner?«
»Nein. Nein, ich freu mich nicht«, sagte Greta hastig.
Kieling schien enttäuscht. »Ich finde, du warst heute schon ehrlicher. Ich an deiner Stelle würde mir ein Loch in den Bauch freuen, wenn nach all den Jahren endlich einer kommt und mich aus der Scheiße holt. Warum freust du dich nicht?«
Greta liefen die Tränen über die schmutzigen Wangen. »Ich weiß es nicht. Lassen Sie uns bitte am Leben. Es bringt doch nichts mehr.«
»Es bringt nichts mehr!« Kieling hob die Pistole an Sarahs Stirn. Das Mädchen war starr vor Angst.
Gretas Hand schoss hervor, griff Kielings Arm und zerrte ihn mit aller Kraft, die ihr geblieben war, zu sich. Kieling schoss nicht. Er schien den Vorgang wie ein interessierter Außenstehender zu beobachten, ließ Greta gewähren. Schließlich setzte sie den Lauf unterhalb ihrer Rippen auf ihren eigenen Körper.
»Lassen Sie sie gehen, um Himmels willen! Sie hat ihr ganzes Leben noch vor sich.«
»Wenn du willst, dass ich dich statt ihrer erschieße, dann wird das so nichts.« Kieling rückte die Mündung der Pistole einige Zentimeter nach rechts. »Da ist das Herz.«
Er drückte ab. Der Knall war nicht sehr laut, denn der Lauf war aufgesetzt. Greta sah Kieling verwundert an und sank nach hinten, die Augen offen und auf Kieling gerichtet. Als sie auf dem Boden lag und die Jacke ihres gestreiften Häftlingsanzugs um die Einschussstelle nass und rot wurde, sah sie Kieling immer noch an. Ihm war, als hätte ihn noch nie eine Tote so angesehen.
Doch dann fiel Kieling ein, dass Frieda geflohen war. Gretas Tochter Sarah starrte auf ihre Mutter, unfähig, sich zu bewegen. Kieling überlegte kurz, schoss dem Mädchen in den Kopf und ging zurück.
14
Herbst 1992
K reuthner klang verschlafen, als er sich am Telefon meldete.
Wallner fragte der Form halber, ob er störe, und kam, ohne Kreuthners vernuschelte Antwort abzuwarten, zur Sache. »Du lebst doch in Dürnbach. Gibt es da eine Kirche?«
»Nein. Mir gehen in Gmund. Also die, wo überhaupts hingehen.«
»Das heißt, ihr habt keine Pfarrkirche. Aber vielleicht irgendeine größere Kapelle? Oder Kirchenruine?«
»Geht’s um das Grab vom Nissl?«
»Ja. Er hat kurz vor seinem Tod noch gesagt, dass das Grab in einer Kirche ist, die Sankt Veit heißt.«
»Sankt Veit?« Wallner konnte geradezu hören, wie der Name etwas bei Kreuthner auslöste. »Jetzt wart mal … Sankt Veit …«
Wallner und Kreuthner trafen sich an einem Feldweg in Dürnbach, der zu einem heruntergekommenen Bauernhaus führte. Von der soeben aufgegangenen Sonne war nichts zu sehen. Es schneite aus dunklen Wolken, die Temperatur lag um den Gefrierpunkt, und ein Nordwestwind blies durch die Kleider. Wallner war in seiner Daunenjacke einigermaßen geschützt. Aber nur bis knapp unter die Gürtellinie. Von da ab zog es höllisch an den Beinen. Wallner fluchte leise, weil er sich gegen lange Unterhosen entschieden hatte, wo doch abzusehen war, dass er sich längere Zeit im Freien würde aufhalten müssen.
»Ich seh keine Kirche«, sagte Wallner.
»Die ist hinter dem Hof, und da stehen Bäume drum rum.«
»Und die heißt Sankt Veit?«
»In der Kirche ist ein Altar. Und da gibt’s ein Bild von dem Veit. Das ist einer der vierzehn Schutzheiligen.«
»Bist ja gut informiert«, wunderte sich Wallner.
»Mir wollten des Altarbild verkaufen damals. Mein Vater und ich. Deswegen hammas uns genauer angeschaut.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr Eigentümer eines Altarbildes seid?«
»Ich sag amal so: Es hat sich außer uns keiner drum gekümmert, verstehst. Außerdem ist dann eh nix draus geworden. Weil meine Mutter hat gesagt, des wär Sünde, und hat a Mordsgeschrei veranstaltet, weil mir an Heiligen verkaufen wollen.«
»Na, wenigstens ein Katholik in der Familie. Dann ist das Bild noch in der Kapelle?«
»Äh, ja. Mir ham nur das Blattgold vom Rahmen gekratzt. Hat aber net viel gebracht. Das Zeug ist scheißdünn.«
Sie näherten sich zu Fuß dem Hof. Die Hofstelle war von den Besitzern vor siebzig Jahren zugunsten eines Neubaus aufgegeben und seither gegen ein dem
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