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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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is?«
    Auf diese Frage war Nissl nicht vorbereitet. Er war auf gar nichts vorbereitet. Lügen war sehr anstrengend, weil man so viel bedenken musste. Da er nicht wusste, was er sagen sollte, ließ er Haltmayers Frage unbeantwortet.
    »Sie is noch im Haus, stimmt’s?«
    Nissl kaute auf seiner Unterlippe.
    »Wo?« Haltmayer blickte zu dem Jungen mit dem Karabiner, als Nissl weiterhin nichts sagte. Er nickte dem Jungen zu und sagte: »Erschieß ihn!«
    »Nein! Bitte nicht!« Nissl liefen Tränen die Wangen hinab. Haltmayer beugte sich zu ihm hinunter, so dass sein Ohr nur wenige Zentimeter von Nissls Mund entfernt war. »Sie hat gesagt, sie will in den Stall, um an Hammer zu holen«, flüsterte Nissl und fing an zu weinen.

44
    F rieda saß hinter dem verrosteten Gerät neben der leicht geöffneten Stalltür und wartete. Der SA-Mann hatte den Jungen im Keller angesprochen. Danach hatte sie nichts mehr gehört. Waren sie wieder weg? Oder durchsuchten sie das Haus? Wohl nicht, die Stiefel auf den Holzböden hätten Geräusche gemacht.
    Frieda bewegte den Kopf an dem rostigen Gerät vorbei, bis sie die Verbindungstür zum Wohntrakt sehen konnte. Der hölzerne Riegel bewegte sich vorsichtig nach oben. Dann ging die Tür fast geräuschlos auf. Ein Gewehrlauf wurde sichtbar, schließlich ein braunes Hemd. Der SA-Mann kam herein, hinter ihm einer seiner Jungen, ebenfalls mit einem Gewehr bewaffnet. Sie schlichen vorsichtig durch den Stall und spähten umher. Der SA-Mann gab ein Zeichen, die beiden pirschten weiter voran und kamen Frieda näher.
    Sie warf einen Blick durch den Türspalt. Draußen war alles ruhig. Es waren sicher hundert Meter bis zum Waldrand. Doch auf dem Weg dahin standen Büsche, von denen einige schon grün waren und Sichtschutz boten. Etwa zwanzig Meter von der Tür entfernt war ein altes Bienenhaus mit Anflugbrettern in verschiedenen Farben. Das müsste sie erreichen, dann war sie in Deckung und konnte sich ihr nächstes Ziel suchen.
    Sehr langsam streckte sie eines ihrer dürren Beine durch den Türspalt, sorgsam darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Der Stoff ihres Kleides blieb unter der Tür hängen und rutschte an ihrem Bein hoch. Frieda hielt den Atem an, zog den Stoff vorsichtig unter der Tür weg und stützte sich mit der anderen Hand gegen die Stallmauer, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
    Haltmayer sah sich im Stall um. Ein rostiger alter Häcksler stand an der Stalltür, die nach hinten hinausging. Die Tür stand einen Spaltbreit offen. Er hörte ein Rascheln, legte sein Gewehr an und zielte in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Dort lag ein wenig Heu, und das bewegte sich. Mäuse. Haltmayer ging leise weiter und bedeutete dem Jungen, ihm zu folgen.
    Als er auf Höhe des Häckslers war und um die Ecke spähte, war da nichts. Der Wind blies Weidensamen durch den Türspalt. Es sah ein bisschen aus wie Schnee. Haltmayer ging zur Tür und machte sie auf. Draußen schien alles ruhig zu sein. Er lauschte und hörte den Wind rauschen, sonst nichts. Ein altes Bienenhaus stand im Wind und wurde von der Weidenwolle umweht.
    Haltmayer stutzte, ging zum Bienenhaus und riss die Tür auf, die nur noch an einer Angel hin. Im Bienenhaus war niemand.
    Frieda spürte die Erschütterung, denn sie drückte sich auf der Rückseite an das alte Bienenhaus. Ihr Herz klopfte heftig. Endlich entfernten sich die Schritte des Mannes. Frieda atmete durch. Sie war fürs Erste gerettet.
    Noch einmal zwanzig Meter weiter Richtung Wald stand eine Linde, hinter deren Stamm sie in Deckung gehen konnte. Frieda tastete sich vorsichtig bis zur Ecke des Bienenhauses und blickte zum Stall. Durch eines der schmutzigen Fenster konnte sie sehen, dass der SA-Mann und der Junge in den Wohntrakt zurückgingen. Die Chance musste sie nutzen. Sie rannte, so schnell sie konnte, zu der Linde. Kurz bevor sie sie erreichte, bemerkte sie einen Schatten hinter dem Baum. Die Sonne war ein wenig durch die Wolkendecke gekommen.
    Sie blieb stehen, sah zum Haus zurück, überlegte, ob sie in eine andere Richtung laufen sollte. Im selben Moment trat jemand hinter der Linde hervor. Es war der andere Volkssturmjunge. Auch er hatte ein Gewehr in der Hand, mit dem er jetzt auf Frieda zielte. Frieda schlug das Herz bis zum Hals. Sie wollte nicht sterben. Fünf Minuten bevor dieser verfluchte Krieg zu Ende war.
    »Lass mich gehen«, sagte sie. »Der Krieg ist gleich vorbei. Euer SA-Mann erschießt mich.«
    Der Junge sah sie unsicher an.

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