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Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Totensonntag: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Totensonntag: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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nicht wärmer als zwanzig Grad. Nur die oberste Wasserschicht wird ein bisschen wärmer. Wenn die Füße beim Schwimmen ein bisschen nach unten hängen, kannst du spüren, dass es da viele Grad kälter ist. Der See ist sehr tief, und das Ufer fällt schnell ab. Kennst du in Seeglas das Floß? Das ist nur ein paar Meter vom Steg weg, und du glaubst, da kann man noch stehen. Aber unter dem Floß ist es schon zehn Meter tief. Ich war als Kind oft in Seeglas. Im Sommer. Mein Vater hat in der Nähe gewohnt. Ich wusste, dass meine Mutter im Tegernsee ertrunken war. Deswegen hatte der See immer etwas Gruseliges für mich. Du weißt, wie das ist: Du schwimmst an einem schönen Sommertag auf dem glatten See, und alles ist ruhig. Du hörst nur dein eigenes Plätschern und von fern den Kinderlärm vom Strandbad. Aber du weißt nicht, was unter der Wasseroberfläche ist. Ein Seeungeheuer könnte aus der Tiefe auf dich zuschwimmen – du würdest es nicht merken. Eine Leiche könnte vor dir aus dem Wasser auftauchen. Und du bist mitten auf dem See.«
    »An so was hast du gedacht beim Schwimmen?«
    »Ja. Immer. Mir war klar, dass das Unsinn ist. Dass es keine Ungeheuer gibt. Aber meine Mutter war immer noch da unten.«
    »Sie ist nie wieder aufgetaucht?«
    »Nein. Der See hat sie nicht hergegeben. Es sind Taucher runtergegangen. Aber sie hätte überall sein können. Sie ist in einem Gewittersturm umgekommen.«
    Claudia rieb sich die Oberarme. »Mich fröstelt es auch bei dem Gedanken, am Grund des Tegernsees zu liegen.«
    »Das allein war es aber nicht. Es gab ein ganz besonderes Erlebnis, und ich denke, seitdem friere ich.« Claudia sah ihn gespannt an. »Es war an einem schönen Sommertag im Strandbad. In Seeglas. Ich saß auf dem Floß und schaute in das tiefgrüne Wasser. Da unten war natürlich nichts zu sehen. Außer Sonnenstrahlen, die von Schwebstoffen reflektiert wurden. Und wie ich so ins Wasser starre, sehe ich etwas. Etwas Helles – ganz tief unten. Es kam mir vor, als sei es ein Gesicht und um das Gesicht herum wallten lange Haare.«
    »Das Gesicht einer Frau?«
    »Das habe ich mir jedenfalls eingeredet. Ich habe keine Ahnung, was ich da gesehen habe. Aber es hat in mir so eine Sehnsucht ausgelöst. Ich kannte meine Mutter ja nur von Fotos. Und da hatte sie immer lange Haare, wie man sie Anfang der siebziger Jahre eben trug. Ich wollte da runter zu dem Gesicht. Es war gar nicht so sehr, dass ich das Gesicht oder den Menschen dahinter treffen wollte. Ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt, da unten zu sein. Ich hab also tief Luft geholt und bin ins Wasser gesprungen. Damals konnte ich sehr lange die Luft anhalten. Das hatte ich mit einer Stoppuhr immer wieder geübt, wenn mir langweilig war. Ich tauche also immer weiter nach unten. Schon nach dem ersten Meter wird es kalt, und der Druck auf die Ohren nimmt zu. Man muss ständig den Druck ausgleichen. Meter um Meter bin ich nach unten getaucht, und es wurde immer kälter. Da unten hat es nur noch ein paar Grad. Und plötzlich berührt meine Hand etwas – eine Wasserpflanze. Da waren noch mehr davon. Ein ganzer Wald. Langsam ging mir die Luft aus. Aber ich dachte: Nur noch einen Meter, vielleicht ist etwas zwischen den Pflanzen. Natürlich hatte ich Angst. Aber irgendetwas hat mich nach unten gezogen. Schließlich ging es nicht mehr mit der Luft, und ich wollte auftauchen. Da verfängt sich mein Fuß in diesen Schlingpflanzen, und ich komme nicht mehr hoch. Hundertmal hat man es uns in der Schule gesagt: Vorsicht vor den bösen Schlingpflanzen im See. Und dann passiert es. Ich hab nach oben geschaut. Da war es hell, und man konnte die Sonnenstrahlen sehen, die durch das Wasser stachen. Aber bei mir unten war es eiskalt, und ich kam nicht ans Licht, in die Wärme. Ich war in der Kälte gefangen.«
    »Aber anscheinend hast du es überlebt.«
    »Wahrscheinlich hat es nur ein paar Sekunden gedauert. Aber für mich war es eine Ewigkeit. Ich glaube, mein ganzer Körper bestand nur aus Adrenalin. Irgendwann dachte ich, so ist das also, wenn man unten bleibt. Und dass ich jetzt bei meiner Mutter bin. Wie ich mich losgemacht habe, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich kurz vor der Ohnmacht stand, als ich aufgetaucht bin. Das war wirklich mit der allerletzten Luft. Vom Floß gab es anerkennende Kommentare. He, war ja ganz schön lang und solche Bemerkungen. Ich hab nicht darauf geachtet und bin zum Steg geschwommen. Dann hab mich in die Sonne gelegt, um mich

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