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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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daran bestand gar kein Zweifel.
    Er besaß ältere Augen und eine ältere Seele, aber die Erscheinung konnte auch trügen, und ihre scheinbare Rangordnung änderte sich erneut. Sie waren Zwillinge, einst identisch, aber heute könnte sie selbst ein Blinder unterscheiden, wenn er nur seine Hände einsetzen und ihren Bauch abtasten durfte. Nathans war deutlich fester und weitaus muskulöser. Mullavey hatte seinen vernachlässigt, er war weich und teigig. Selbst die ergrauenden Schläfen sahen an Nathan besser aus, sie ließen ihn distinguiert erscheinen. Für Andrew waren seine eigenen grauen Haare nur ein weiterer Beweis, dass er unausweichlich zu einer Karikatur ihres Vaters wurde.
    Er dachte sich, dass ein Besuch beim Schönheitschirurgen die Situation verbessern könnte, dabei könnte er sich auch gleich das Fett absaugen lassen. Aber der Schmerz – allein der Gedanke daran schüchterte ihn so sehr ein, dass er alle anderen Vorzüge in Frage stellte. Es war doch trotz allem nur eine geistige Einstellung, ich bin nicht mein Vater.
    Mullavey legte seine Gabel hin und zuckte zusammen; er drückte eine Hand gegen den Magen und versuchte, so gut es ging, den aufkommenden Rülpser zu unterdrücken. Es gelang ihm nicht. Nathan bekam den Luftzug ab und schnitt eine Grimasse, dann wedelte er mit der Hand nach frischer Luft.
    »Puh, das riecht aber gar nicht gut«, sagte er. »Hast du ein Geschwür?«
    Mit geschlossenen Augen: »Wenn nicht, dann sollte ich eins haben. Ich hätte es mir verdient.«
    »Dein Problem ist, dass du nicht trainierst«, mahnte Nathan und wedelte drohend mit einem Finger. »Dein Körper ist wie dein Unternehmen. Wenn du dich nicht darum kümmerst, dann wendet er sich gegen dich und macht dir das Leben zur Hölle.«
    »Mir geht es gut.«
    »Du kennst den Nautilus oben in meinem Büro? Ich kann dir auch einen besorgen. Ich habe erst vor zwei Wochen zwei LKW-Ladungen davon verschickt, irgend so eine neue Fitnessklubkette hat unten in Florida aufgemacht. Ich kann die nächste Lieferung anhalten, und du kannst jederzeit einen bekommen, dann könntest du schon nächste Woche Eisen stemmen. Interessiert?«
    Eisen stemmen? Das Schwerste, was er seit langer Zeit angehoben hatte, waren Clarisse LaBontés Beine, und dabei hatte sie ihm auch noch geholfen. Mullavey sagte, dass er kein Interesse habe. Ein leichtes Schwitzen, das man sich mit einem bestickten Taschentuch von der Stirn wischen konnte, das war zu tolerieren, aber nicht die Qualen, die einem das Training bereitete. Dann könnte man ebenso gut ein Nigger auf dem Feld sein, wenn man so schwitzen wollte.
    »Nathan«, sagte er dann. Er hielt dessen Blick über den Tisch hinweg fest. »Gibt es denn gar nichts, was Aal tun kann?«
    »Wegen …?«
    »Napolean Trintignant.«
    »Schon wieder dieses Thema.« Nathan legte Messer und Gabel auf den Tisch und rieb sich mit starren Fingern durch das Gesicht. »Nein. Gar nichts. Aal sagt, dass Napoleans Seele zu einhundert Prozent ihm selbst gehört.«
    Das war wirklich eine Schande. Er hätte nie erwartet, dass ihn jemand, der unter seinem eigenen Dach lebte, verraten würde. Diese Leute wurden gekauft und bezahlt, aber er hatte sie aus dem Dreck der ärmsten Nation der westlichen Hemisphäre geholt und ihnen ein Zuhause gegeben, in dem sie keine Sorgen mehr haben mussten; man kümmerte sich um sie, und jeder profitierte von der Situation.
    Vielleicht sollte er sich ab sofort auch vor ihnen in Acht nehmen. In dieser Hinsicht konnte er vom Geschäft lernen. Er war sich noch nicht sicher, wie sehr er an diesen Hoodoo glaubte, dem sein Bruder, einige seiner Männer und insbesondere Aal anhingen. Dieser Aal war imstande, auf jede beliebige Entfernung zu töten, solange er die entsprechende Ausrüstung dafür hatte. Aal konnte den Göttern Befehle erteilen, oder den Teufeln, Geistern oder was auch immer sie waren. So lange er das beschaffte, was seine Götter verlangten, war ihre Macht furchterregend, wenn nicht noch sehr viel mehr.
    Um eine Seele gefangen nehmen zu können, brauchte Aal angeblich Haare vom Kopf, dem Schritt und dem linken Unterarm der Person sowie Nagelstücke der linken Hand und des linken Fußes. Damit erlangte er die Aufmerksamkeit der Götter. Mullavey konnte das theoretisch nachvollziehen. Götter, Direktoren, alle brauchten etwas, was ihr Interesse weckte. Es war nicht so schwer, wie man annehmen sollte, dies alles von ahnungslosen weißen Männern und Frauen zu bekommen. Besonders nicht von den

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