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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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und grinste. »Es gibt in diesem Land so viele Orte, die ich in Twin Oaks im Fernseher gesehen habe, die würde ich gern besuchen – den Grand Canyon vielleicht – ja, den würde ich wirklich gern sehen.«
    Mama Charity stieß Granviers Arm an. »Was bezwecken Sie damit, wollen Sie die Leute irgendwo anders hinbringen?«
    »Ruben dachte, dass es möglich sei, und es lag ihm sehr am Herzen. Ich würde es gern an seiner statt tun, wenn ich kann.«
    »Das ist ja alles gut und schön hier drin« – sie drückte eine Hand auf ihr Herz – »aber was wollen Sie mit so vielen Leuten tun? Die nicht die leiseste Ahnung haben, wie es ist, in diesem Land für sich selbst sorgen zu müssen? Die vielleicht nicht einmal ihre eigenen Greencards zu Gesicht bekommen haben.«
    »Ruben hatte Pläne.« Granvier zog kurz die Augenbrauen hoch und lächelte über den Rand seiner Tasse hinweg. »Es gibt ein Gebiet in der Nähe von Miami, das man Klein Haiti nennt. Wenn man sie dort hinbringt, dann könnten sie es vielleicht lernen. Wenn sie jetzt schon eine Greencard besitzen, dann würde man sie Rubens Meinung nach auch anerkennen, selbst wenn man herausfindet, dass sie sie durch Bestechung erworben haben. Und wenn diese auslaufen, müssten sie keine Angst vor der Deportation haben. Die INS erlaubt illegalen Einwanderern, zu bleiben, wenn sie beweisen können, dass sie seit 1982 hier sind. Und das sind diese Menschen.« Er lächelte erneut, und es war ein verschlagenes, rachsüchtiges, kaltes Lächeln. »Mullavey hat sie nicht mehr so gut im Griff, sie wissen es nur noch nicht. Aber sie werden es erfahren.«
    Mama Charity nickte und verdrehte dann die Augen, als ihr klar wurde, wer die gute Nachricht überbringen sollte. Justin verstand es erst einige Augenblicke später.
    Napolean schien es allerdings schon längst begriffen zu haben.
    »Macandal wird mir helfen«, sagte er. »Er hat es schon einmal getan.«
     
    Justin wusste nicht, wie spät es war, als er wieder nach oben ging in das Schlafzimmer, das zu Aprils Grabstätte geworden war, aber er wusste, dass dies nun auch seine Welt darstellte.
    Schaurig war ihr Schlaf, der nicht einmal von einem Seufzer, einem Schnarchen oder einem Zucken ihres Arms gestört wurde. Normalerweise hatte April keinen sehr leisen Schlaf, aber in den mehr als zwölf Monaten, die sie jetzt das Bett teilten, hatte sich Justin an den Rhythmus ihres Schlummers gewöhnt und seinen eigenen daran angepasst. Diese kleinen Töne und Bewegungen während der Nacht machten ihm auf tröstliche Weise bewusst, dass er nicht allein war, dass sie lebte und atmete und dass sie ihn liebte.
    Und all dies war ihm genommen worden, ihm blieben nur noch die Hoffnung, seine Gebete und die Zeit.
    In seinem Stuhl sitzend sah er der Morgendämmerung zu und sah im Fenster, wie der Donnerstag in Fahrt kam. Er war zu müde, um wach bleiben zu können, aber zu sehr in Sorge und zu voll mit Koffein, um schlafen zu können. Er schlurfte durch das Zimmer zu einem alten Schrank, dessen Spiegel sich in einem verzierten Walnussholzoval erhob, und starrte sein Spiegelbild an, die Falten, die sich um seine Augen eingegraben hatten. Auf einer Seite unter dem verheilenden Schnitt und der abschwellenden Wunde, wo ihn eine vor Zorn geschwungene Pistole getroffen hatte. Diese Falten, wo waren sie hergekommen? Vor sechs Monaten waren sie noch nicht da gewesen. Er sah sie an und wusste, dass man ihn betrogen hatte; sollte mit dem Alter nicht auch die Sicherheit einhergehen?
    Klänge anderer Leben hallten von unten herauf. Sie ließen ihn später am Morgen allein. Mama Charity brachte die anderen beiden nach Gretna, damit Granvier ihre Motelzimmer ausräumen und diese Phase der Verfolgungsjagd abschließen konnte. Napolean fuhr ihren Mietwagen fort und brachte Granvier nach Hause, weil dieser sein eigenes Auto holen wollte.
    Es war schon früher Nachmittag, als sie zurückkehrten; sie hatten an Mama Charitys Laden gehalten und berichteten ihm von dem dort vorgefundenen Blutbad. Mamas Aushilfsbedienung, ein Ex-Junkie namens Jo-Jo, wurde vermisst. Von ihm war keine Spur zu sehen, aber sie hatte ein seltsames Loch auf ihrem Tresen entdeckt, und als sie mit einem Weihrauchstäbchen hineingebohrt hatte, um seine Tiefe zu erloten, war ihre Sonde blutbedeckt wieder zutage gekommen.
    Ein weiteres Mysterium war gelüftet, und sie wussten, wie ihre Besucher aus der letzten Nacht sie gefunden hatten.
    Justin schlief, wenn er konnte, zumindest in den Stunden,

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