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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Kopf und warf einen Blick nach hinten in das Zimmer, in dem es zu dunkel war, als dass er etwas erkennen konnte. »Nichts. Es ist spät, wir müssen los. Wir kommen am Pool raus, geh jetzt, wir treffen uns dann da.«
    Sie verschwand, während er noch zu ihr hochsah, ihr Gesicht – diese Linien, die sich so tief um ihren Mund eingegraben hatten – wurde vom Raum verschluckt.
    Napolean ging wieder um das Haus herum und hielt sich in den Schatten, die so dunkel waren, als habe man sie aufgemalt. Das Wasser des Swimmingpools schimmerte dunkel wie Öl, nur unterbrochen vom sanften, einsamen Platschen der Nymphenstatue an einem Ende, die sinnlos und für niemanden Wasser spuckte.
    Endlich öffnete sich die Hintertür, eine von vielen. Er wartete.
    Und da kamen sie, jene, deren Augen ihn hatten aufwachsen sehen, und eine Handvoll Jüngere, mit denen zusammen er erwachsen geworden war. Die meisten waren vor einem Jahrzehnt noch Fremde gewesen, in den Bergen von Haiti oder dem dampfenden Hexenkessel von Port-au-Prince. Nun waren sie für immer durch eine Seereise aneinandergebunden, die einige eifrig und aus freien Stücken angetreten hatten, weil sie ihnen zu dieser Zeit wie ein Ausweg erschienen war, während andere einfach keine andere Wahl hatten. Sie brachten auch einige Kinder mit, die hier seit ihrer Ankunft in unregelmäßigen Abständen geboren worden waren.
    Sie hatten kaum etwas bei sich, die meisten Besitztümer waren mithilfe von Laken oder Tischdecken zu Paketen geschnürt worden, und er kannte den Blick in ihren Augen: die Aufregung über die Aussicht auf ein neues Leben, die die Angst vor dessen Macht überwog. Und Erleichterung? Er ging davon aus, dass sie ebenfalls vorhanden war, zumindest in einigen Gesichtern.
    »Warte«, sagte er zu Orvela. »Warte. Das sind nicht alle. Was ist mit Clarisse? Sie ist nicht hier.«
    Als ihn Orvela ansah, verstand er, wieso sie vorhin am Fenster gezögert hatte. Schon bevor sie ihn zur Seite zog, um es zu erklären – ein jämmerlicher Versuch der Privatsphäre, als ob die wenigen Schritte Abstand als Barriere für all diese Augen und Ohren dienen konnte.
    »Sie hat ihre Wahl getroffen und ich meine«, erklärte Orvela. »Clarisse ist kein Kind mehr. Wenn sie in diesem Haus bleiben will, bei diesem Mann, jetzt, wo seine Frau fort ist … Ich werde um sie weinen … aber ich kann sie nicht zwingen, zu gehen.«
    Clarisse blieb aus freien Stücken? Nein, er wollte das nicht hören, es war ein Schlag ins Gesicht und spottete allem, was er sich je über ihre Beziehung zu Mr Andrew eingebildet hatte. Er wusste, dass Clarisse seine Geliebte war und dass er manchmal mitten in der Nacht in ihr Zimmer kam, wenn seine Frau schlief, und auch, dass er ihr häufiger Gesellschaft leistete, wenn Mrs Evelyn verreist war. Napolean hörte das leise Schnaufen des Mannes und sagte sich, dass Clarisse dabei mitspielte, weil es ihre Art war, hier zu überleben. Dass ihr Mr Andrew Lügen erzählt hatte, sie bedroht hatte, seinen Mystizismus in den Augen der meisten Haitianer ausgenutzt hatte, da er ein Zwilling war.
    Unter dem zeitlosen Mond wusste er, dass er die Hoffnung nicht aufgeben würde. Vielleicht hatte Mr Andrew Clarisse verhext, damit sie blieb; jetzt, wo seine Frau fort war, musste er nicht mehr insgeheim zu ihr gehen, und Clarisse konnte offen ihren Platz einnehmen. Wie leicht er sich das doch einreden konnte.
    »Sie hat mir versprochen, dass sie ihm niemals sagen wird, wo wir hingehen«, fuhr Orvela fort, »und sie weiß, dass er ihr nie wehtun wird, um uns zu finden.«
    Die Möglichkeit, dass Mr Andrew versuchen könnte, sie zu finden oder ihnen aus Boshaftigkeit zu schaden, war Napolean nie in den Sinn gekommen. Miami … Er wollte diesen Ort schon seit so langer Zeit sehen, auf seinen Straßen herumfahren, im Meer schwimmen, einfach die Luft dort einatmen und den Geschmack des Lebens dort spüren, und er wäre zufrieden, weil er das ganz allein erreicht hatte. Er würde an einem sonnigen Tag in der Wärme baden und sich in Erinnerung rufen, dass dies eine andere Sonne war als diejenige, die über Twin Oaks schien. Clarisse hatte ihm nie irgendwelche Hoffnungen gemacht, und er hatten keinen Grund, diese Träume weiter zu verfolgen … aber zu wissen, dass sie nicht da sein würde, milderte seine Vorfreude doch ein wenig.
    »Napolean«, sagte Orvela. »Bleib ja am Leben, verstehst du?« Sie nahm seine Handgelenke und ihre Handflächen und Finger fühlten sich so glatt an wie

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