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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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siehst so aus.« Sie lächelte so voller Hoffnung, die kriminell gewesen wäre, hätte keine derart große Ehrlichkeit darin gelegen.
    Nan Blair, die Künstlerin, hatte ihn angerufen und vor die Tür gelockt; wäre es jemand anderes gewesen, hätte er sich höchstwahrscheinlich geweigert. Du bist noch nicht lange weg und noch immer einer von uns, hatte sie zu ihm gesagt; auf diese Ironie hatte er sie lieber gar nicht erst hingewiesen.
    Er hatte Angst. Nan war ihm vor Monaten zu Hilfe geeilt, als das Meeting in New Orleans den Bach runterzugehen drohte, und jetzt fragte er sich, ob sie, Gott steh ihr bei, vielleicht vorhatte, hier dasselbe zu tun.
    Justin gab vor, die Gesichter der Mitarbeiter von Segal/Goldberg zu studieren. Es waren nur drei des Quintetts aus dem Treffen im Juli anwesend. Er, Nan und Allison Hunter, die ihm später auf dem Rückflug eindeutige Angebote gemacht hatte und die jetzt von einigen Männern im Anzug umringt wurde. Leonard Greenwald fehlte natürlich …
    »Wo ist Todd Whitley?«, wollte er wissen.
    »Er hat seine Meinung geändert, als er hörte, dass du kommst.« Nan zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Er hasst dich wirklich, weißt du das? Ich arbeite jetzt seit vier Jahren mit ihm zusammen, und ich habe noch nie erlebt, dass er jemanden derart verabscheut hat.« Sie berührte ihn leicht am Arm. »Ich erzähle dir das nur, weil ich glaube, du solltest es als Kompliment sehen.«
    »Okay«, erwiderte er.
    Justin starrte eine Weile in die eisigen Tiefen seines Bourbon, und konzentrierte sich auf die Wärme, die sich in seinen Gliedmaßen sowie in seinem Kopf, in seinem Bauch und in seiner Seele ausbreitete und alles gefühllos werden ließ. Er war sich Nans Anwesenheit stets bewusst, die ihm verstohlene Blicke zuwarf, an ihren Fingernägeln herumkaute, sich dann aber wieder zusammenriss und es sein ließ. Er fand es recht angenehm.
    Aber es konnte später übel enden. Er war dankbar, dass jemand Anteil an seinem Leben nahm, aber es schien so wichtig zu sein, es nie wieder mit dem eines anderen Menschen zu verbinden, der ihm wichtig war. Nan verdiente diesen Wahnsinn nicht. Sollte sie doch einen Neo-Baudelaire-Poeten aus Ybor Citys Gegenkultur retten, einen melancholischen Idealisten, der noch an die Liebe glaubte. Der würde viel besser zu ihr passen.
    »Kann ich dich etwas fragen?«, sagte Nan.
    »Nur zu.«
    »Du siehst schrecklich aus. Wie viel hast du abgenommen?«
    »Ich weiß es nicht. Selbst wenn wir eine Waage besäßen, würd ich mich nicht draufstellen.«
    »Suchst du … einen neuen Job?«
    »Ich weiß nicht.« Erneut die allumfassende Antwort; aber war die Frage wirklich so schwierig gewesen? Die Antwort lautete einfach: Nein. »Ich brauche etwas Zeit. Um herauszufinden, wie ich leben will. Wo. Warum. Oder eher ob ich überhaupt leben will.« Er sprach langsam, wählte seine Worte mit Bedacht und beobachtete einigermaßen losgelöst, wie jedes einzelne Nan wie ein Skalpell traf. »Ich schätze, ich sollte mir einen Job suchen. Die Versicherung, verstehst du, sie wird nicht alle Kosten tragen. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, sie in ein staatliches Krankenhaus verlegen zu müssen.«
    »Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
    »Vor einigen Tagen. Am Sonntag.« Sein Lächeln konnte den Schmerz des Verlusts kurz überwinden; er dachte an April: Eine Krankenschwester hatte ihr das Haar gebürstet, und es hatte geglänzt wie die Federn eines Raben. »Ich habe ihr einige ihrer Bilder und Pinsel und einige Leinwände gebracht. Sie hielten es für eine gute Idee – vielleicht – vielleicht kann sie so einiges loswerden.« Und vielleicht würde er sich beim nächsten Mal die Augen herausreißen, damit er die verzweifelte Leere in ihren nicht mehr sehen musste. »Sie ist so weit weg. Von mir, von allem … was ich ihr sagen kann. Weißt du, was das für ein Gefühl ist?«
    »Ich lerne es langsam«, erwiderte Nan.
    Oh, der war gut, Nan, der war gut. Versuch beim nächsten Mal, den verbalen Spiegel ein wenig höher zu halten, sonst kriege ich vielleicht nicht alles mit. Er entschied sich, dieses Hilfsangebot zu unterdrücken, bevor es noch weiter artikuliert wurde. Er drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um Allison Hunter lautlos lachen und den Arm eines ihrer Begleiter umklammern zu sehen. Sie war groß, blond, jeder Revlonstrich saß, und wie deplatziert doch alles wirkte, als sie taumelte und beinahe hinfiel. Ihr Drink schwappte über, und es sah beinahe so aus, als

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