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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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zugehört, über mich gelacht habt, ich hoffe, unser Schmerz schmeckt süß auf euren Zungen.
    Seiner Meinung nach war jeder Sündenbock besser als gar keine Wahrheit.
    Und er überlegte, ob er sich nicht zu April begeben sollte. Vielleicht hatte sie ein Vergessen gefunden, das all dem vorzuziehen war, und litt nur, wenn sie weit genug zurückkehrte, um das unvollendete Leben sehen zu können, das sie zurückgelassen hatte. Zu ihr gehen, ja, den eigenen Verstand zerstören; er besaß auf jeden Fall genug Feuerkraft, um das bewerkstelligen zu können. Ein Schuss in den Mund – der ekelhafte Geschmack von Schießpulver und ein glänzend schimmerndes weißes Licht, und schon wäre er auf dem Weg.
    Es war eine Überlegung wert.
    Am nächsten Tag holte er den ersten einer Reihe von Experten, Aprils Therapeutin Dr. Carole Gurvitz … und die Verantwortung wurde unwiederbringlich in die Hände anderer gelegt. Es wurden Theorien aufgestellt, Tests durchgeführt, und er beantwortete die Fragen, so gut er konnte, versuchte zu erklären, was in dieser Nacht geschehen war, zumindest das, was April betraf.
    Am Ende besiegte die Wissenschaft das Mysterium. Eine Computertomografie brachte eine überschattete Wunde an ihrem rechten Vorderhirn zu Tage, und Justin hörte mehr als ihm lieb war über Schizophrenie und Katatonie. Diese Worte glichen einer Niederlage, denn sie bedeuteten, dass er ihr keine Hilfe sein würde, sie brauchte weitaus mehr, als er ihr jemals geben konnte.
    Dr. Gurvitz empfahl ihm ein privates Institut in einem Vorort von Orlando. An dem Nachmittag, an dem er sie hinter diesen Mauern zurückließ, versprach ihm Dr. Gurvitz, dass man April dort nicht sexuell belästigen würde; die Angestellten wurden sorgfältig ausgewählt, um potenzielle Kadidaten für ein derartiges Benehmen von vorneherein auszusieben.
    Aber es gab keine Garantie, und er wusste es besser.
    Es war Anfang Dezember, und der Winter war tief in ihm. Er stellte sich voll in den Wind, der Staub und Sand über den Asphalt hinwegtrieb. Der Wind kam von Westen, ein Golfwind, der anfänglich kühl gewesen war, aber sich über einen ganzen Staat hinweg voll Hitze saugen konnte, bis er hier ankam und ihn versengte. Gut. Gut. Er wollte brennen.
    Die Schuld des Überlebenden. Wie gut Moreno gewusst hatte, wovon er sprach. Auch wenn Justin nun wusste, was Moreno verwehrt geblieben war: Eine letzte Minute, um Abschied nehmen zu können, machte die Sache nicht leichter. Der Schmerz blieb dennoch derselbe.
    »Sie hat mich gebeten, sie zu töten«, sagte Justin. »Kurz nachdem sie das erste Mal zu sich gekommen war. Sie sagte mir, ich solle sie umbringen. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum.«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass April zu diesem Zeitpunkt unter einer Wahnvorstellung litt.« Dr. Gurvitz’ schwarz-weiß gestreiftes Haar war völlig zerzaust, und sie versuchte gar nicht mehr länger, es zu richten. »Justin, sie wusste höchstwahrscheinlich nicht einmal, was sie sagte.«
    »Nein, nein. Sie wusste es. Sie wusste es.« Justin drehte sich um und sah das Krankenhaus an, und jeder abgebrühte Satz, den er je über eine derartige Einrichtung von sich gegeben hatte, stand ihm überdeutlich vor Augen. »Sie war in diesem Moment eher bei Verstand als ich«, und er versuchte, sich einzureden, dass seine Augen nur aufgrund des starken Windes tränten. Es war nur der Wind …
    »Denn sie hat die Zukunft gesehen.«
     
    Es hatte schon vor ihrer Einweisung begonnen und setzte sich danach fort: Die häusliche Beseitigung von Aprils Leben, wie sie es bisher gelebt hatte. Darin lag keine bittersüße Nostalgie, nicht in der Art, wie sie oft bei Überlebenden anzutreffen ist, die traurig lächeln, wenn sie einige Stücke in der Hand halten, und sich an vergangene Momente erinnern.
    Es war eher so, als würde er ihr Leben in Mottenkugeln versenken und es dann in der Hoffnung, sie würde es eines Tages zurückverlangen, ins Regal stellen. Umso größer war sein Schmerz, da ihm das Gefühl des Abschlusses verweigert wurde. Solange es noch Hoffnung gab, so gering diese auch sein mochte, klammerte sich diese hartnäckig an den Wunden fest, die für immer frisch und blutig blieben.
    Es blieb ihm keine andere Wahl, als zu den Betäubungsmitteln zu greifen, denen er längst abgeschworen hatte, und er stellte fest, dass die Flaschen geduldig gewartet hatten und seine Rückkehr begrüßten. Alter Freund, wie schön, dass du zurückgekehrt bist …
    Dorthin, wo du

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