Totenstadt
etwas gegen mich sagt, jeder, der auch nur daran denkt, etwas gegen mich zu sagen, wird ebenso behandelt. Also, zum Teufel noch mal, ja, tun Sie es.«
Aal zuckte mit den Achseln. »Dann brauchen Sie einen neuen Buchhalter, aber so einen können Sie sich jederzeit kaufen.«
Amüsiert zog Nathan einen Mundwinkel hoch. »Wissen Sie, was das Problem mit Männern wie Henry ist? Sie haben einen Computer als Gehirn und sind viel zu logisch, als gut für sie ist. Sie besitzen keine Loyalität.«
Als Nathan den letzten Rest der Suppe auflöffelte, bemerkte Aal endlich die Dinge, die sich am Schüsselboden befanden. Er blickte ängstlich hinein, während Nathan genüsslich eines nach dem anderen mit dem Löffel herausfischte. Da waren sechs muschelartige Objekte, etwa so groß wie sein Daumen, aber nur halb so lang. Nathan stemmte sie alle auf – sie teilten sich relativ leicht – und schaufelte die weiche Masse heraus, die er mit Genuss verspeiste.
»Gestopfte Flusskrebsköpfe«, erklärte er. »Der beste Teil von ihnen.«
Aal schloss die Augen und versuchte, einen Schauder zu unterdrücken. Die Sachen, die diese Menschen hier unten aßen! Was sie fangen konnten, verschlangen sie auch.
Nathan drehte sich mit wachen Augen erneut zu ihm um. »Möchten Sie wirklich nicht probieren?«
»Nein danke …«
»Ich kann Ihnen auch etwas mitgeben …«
»Wirklich nicht«, grunzte er.
»Sie sind aber auch ein alter Dickkopf.« Nathan griff hinter sich und öffnete eine kleine Tafel, die nahtlos in die Wand eingelassen war. Er nahm einen Telefonhörer ab und war direkt mit der Küche verbunden. »Schicken Sie jemanden mit einer weiteren Schüssel der Flusskrebssuppe für Mr Fletchers Fahrer hier hoch. Packen Sie alles zum Mitnehmen ein.« Er hängte den Hörer wieder ein, sah äußerst selbstzufrieden aus und Aal triumphierend an. »So gutes Essen muss man einfach teilen. Ihr Fahrer wird mir noch dankbar sein.«
»Ich sorge dafür, dass er sich bei Ihnen bedankt, sobald er zu Hause eintrifft«, erwiderte Aal, und Nathan sah leicht amüsiert aus.
Er lächelte versonnen, als er die leeren Flusskrebsköpfe aufreihte, eine halbe Muschel neben die nächste. Er bildete eine saubere Reihe quer durch die Porzellanschüssel.
Und dann zerbröselte er alle sechs mit sanftem, weichem Knacken zwischen seinen Daumen.
Ging man in die Bereiche, die unterhalb der Straßenebene lagen, so ging man gleichzeitig in der Zeit zurück.
Nur wenige achteten auf die verschlossene Tür in einem der Hinterzimmer des Charbonneau’s, hinter der eine Treppe in den Keller ging; und noch viel weniger kannten die Falltür, die sogar noch tiefer führte und in einem weiteren Keller endete. Und nur eine Handvoll Menschen wusste von einer zweiten Falltür, die dort so eingebaut worden war, dass sie mit dem sie umgebenden Ziegelfußboden verschmolz und deren Griff hinter einem Ziegelstein verborgen lag, der sich verschieben ließ. Öffnete man sie und stieg eine alte Holztreppe hinab, die an einer Steinwand befestigt war, dann war die Zeitreise perfekt. Die Steine und Mauern dort konnten auf zweieinhalb Jahrhunderte voller Blutgeld und Leidenschaft zurückblicken. Sie waren kalt, feucht und altersschwer, diese vergessenen Katakomben, gebaut am Ufer eines langsam dahinfließenden unterirdischen Flusses, der zum Mississippi führte und den französische Schmuggler und Piraten einst nutzten, deren Nachfahren an der Oberfläche heute weitaus mehr Mut besaßen.
Was für ein Erbe, welch ein Vermächtnis.
Wenn sich Aal an irgendeinem Ort wirklich zu Hause fühlte, dann war es dieser. Er besaß unter dem Restaurant eine Kammer, die etwa fünfzehn Meter den Korridor entlang lag, deren Steinwände dick waren und den Geruch und den Anblick zahlreicher Zeremonien widerspiegelten. Sie wurde erhellt vom sanften Glanz der Kerzen, von denen einhundert oder mehr auf dem Altar standen oder deren weiches Wachs in die Spalten an der Wand gedrückt worden war. Der Rauch wurde von der natürlichen Ventilation vertrieben, eine immerwährende unterirdische Brise wehte durch die Gänge und über das Wasser und verebbte einige Blocks weiter über dem Mississippi.
Die Temperatur blieb das ganze Jahr über gleich, und obwohl die Piraten beim Bau dieses Ortes nicht an die Behaglichkeit gedacht hatten, so war er durchaus so ausgelegt, dass man es einige Zeit dort aushalten konnte. In eine Wand war ein großer Steinofen eingelassen.
Über die gesamte Länge der gegenüberliegenden
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