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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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man hinter den Kulissen etwas legerer auftreten. »Aber du bist so gut darin. Ein Teil von dir muss es lieben, sich danach sehnen.«
    Er nickte. »Ja. Oh ja. Aber wenn ich die Resultate sehe … dann machen sie mir manchmal Sorgen. Es ist alles so auf Hochglanz poliert. Die Ästhetik ist so perfekt, dass alles besser aussieht als in Wirklichkeit, und wenn es funktioniert, dann ist es so, als würde man bei anderen nur auf einen ganz bestimmten Knopf drücken. Als gäbe es so etwas wie einen freien Willen nicht, nicht wirklich. Je länger ich dabei bin, desto mehr kommt mir die Werbung wie eine Art Magie vor. Nur dass der Zauber über die Medien verbreitet wird.«
    »Justin, du bist der Einzige, den ich kenne, dessen Anfälle immer schlimmer werden, je bessere Arbeit er leistet.«
    Leonard spielte mit den Überresten seines Sandwichs, als hätte sich Justins Unzufriedenheit mit seinem Mittagessen auf ihn übertragen. Er nahm es auseinander, und das Sonnenlicht schimmerte auf dem Fleisch, sodass es sehr pink und sehr glänzend aussah. Zu sehr nach Plastik. Er knüllte es mitsamt der Verpackung zusammen.
    »Das machen wir alle durch, Justin. Etwas in der Art, auf die eine oder die andere Weise.« Leonard schüttelte den Kopf und blickte beinahe finster drein, seine hohe Stirn verzog sich, wurde aber gleich wieder glatt. »Ich weiß noch, als ich diese Skrupel hatte. Nein, ich wollte niemandem den Hintern küssen, ich wollte meinen Job mit Integrität erledigen … und mit Stolz … und alles, was ich erreichen wollte, sollte geschehen, weil ich es verdient hatte.«
    Es folgten einige stille Momente, in denen sie alles um sich herum vergaßen und nichts als die Virginia-Brise spürten, die aus dem Osten kam. Sie war warm, sommerlich, und wenn man sich tief genug hineinfühlte, dann konnte man sogar einen einsamen Hinweis auf die Kühle des Ozeans darin spüren.
    »Und wie hast du das Dilemma gelöst?«, wollte Justin wissen.
    »Das habe ich nicht. Ich habe nur herausgefunden, wie es sich besser vergessen lässt.« Leonard Greenwald zog eine Sekunde lang die Schultern hoch, ließ ein kurzes entschuldigendes Lächeln aufblitzen, und Justin hatte fast Mitleid mit ihm. Dieser Mann war durch Verpflichtungen und aus finanziellen Gründen an eine Karriere gebunden, und Justin bekam langsam das Gefühl, dass er diese nicht gerade mit liebevollen Gefühlen ausübte.
    »Scheiße lässt sich abwaschen«, sagte Leonard schließlich. Er fasste sich an die Nase. »Scheiße lässt sich abwaschen. Aber manchmal … da glaube ich, dass ich sie immer noch riechen kann.«

6
G ESTEIN
     
    Als Aal im Charbonneau’s in der Toulouse Street eintraf, war von dem Pulk, der donnerstags zum Mittagessen dort einfiel, nur noch der Bodensatz übrig, der an den mit Leintüchern drapierten Tischen saß. Gleichgültige Geschäftsleute saßen im sanften Glanz der Kristallkronleuchter und quetschten einen weiteren Martini auf ihre Spesenrechnung; außerdem beäugten sie einander und versuchten, die Schwächen des anderen zu ergründen. Und Touristen, die den Nerv hatten, sich vor die Tür zu wagen und der Augustsonne zu trotzen.
    Der Oberkellner im Smoking benötigte keine zusätzliche Aufforderung; war man Aal einmal begegnet, den ganzen schlohweißen knappen zwei Metern, dann vergaß man das nie. Aal wurde durch das Restaurant geführt, an Tischen vorbei, die für den abendlichen Ansturm vorbereitet wurden. Unberührte Gedecke warteten auf die Hungrigen, die Plätze waren markiert durch steife weiße Servietten, die zu so gleichmäßigen Kegeln geformt waren, dass sie der Kopfbedeckung eines Monsignores glichen.
    Der Oberkellner führte ihn in einen höhergelegenen Alkoven im hinteren Teil des Speisesaals. Er verbeugte sich kurz und steif vor dem Mann, der bereits dort saß, und verschwand mit dem Anstand eines Dienstboten. Der Mann erhob sich und grüßte ihn namentlich.
    »Hi Nathan«, sagte Aal und nickte, dann setzten sie sich. Aal gefiel es hier in Nathans kleinem Adlernest – als Besitzer hatte man so seine Privilegien. Sie waren geschützt vor spionierenden Augen und lauschenden Ohren, und niemand konnte sich unbemerkt an sie heranschleichen. Das war wichtig. Genauso wie die beiden Kolosse, die an einem Tisch in der Nähe etwas weiter unten saßen, Kaffee tranken und stets ihre Jacketts trugen, um ihre Pistolen zu verbergen.
    Nathan stieß den Papierkram beiseite und folgte ihm dabei mit den Augen, während er ihn vorsichtig auf dem Tischtuch

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