Totenstadt
dass du nicht bleiben kannst.«
Napolean nickte. Er wusste es, es gab keinen Grund, sich deswegen zu streiten.
»Was sollen wir nur mit dir anstellen?«
»Das ist nicht deine Entscheidung, also musst du dir deswegen auch keine Sorgen machen.«
»Nun, da hast du verdammt noch mal recht, und ich werde mir auch keine Sorgen machen«, erwiderte sie und er wünschte, er könnte in diesem Moment ihr Gesicht sehen. Sie konnte ihn nicht täuschen. »Aber … weißt du … ich möchte nicht hören müssen, dass dir erneut jemand eins übergezogen hat, und beim nächsten Mal schlägt er vielleicht härter zu. Dann hätte ich das Gefühl, meine kostbare Zeit ganz umsonst verschwendet zu haben.«
Er lächelte und neigte seinen Kopf in ihre Richtung. »Du hast deine Zeit nicht verschwendet. Ich verspreche dir eins: Wenn ich durch diese Tür gehe, dann wirst du nie wieder etwas von mir hören, und darauf solltest du stolz sein.«
»Oh, oh.« Sie klang ganz und gar nicht überzeugt. »Beim nächsten Mal schlägt man dir den Schädel ein und wirft dich in den Fluss.« Dann klang ihre Stimme sanfter. »Kennst du denn niemanden hier? Ich habe dich nicht gefragt, warum du aus Nah-dran-an-Jamaika gekommen bist, da ich glaube, dass mich das nichts angeht. Aber du musst doch irgendjemanden kennen.«
»Das tue ich möglicherweise. Das heißt, ich dachte, ich würde sie kennen, aber jetzt glaube ich, dass ich sie vielleicht doch nicht gekannt habe.«
Ihre Stimme klang spitz. »Steckst du in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
»Irgendwie schon«, er kicherte. »Aber ich weiß nicht in welchen.«
»Und niemand kann dir helfen? Gibt es denn niemanden, der dir am Herzen liegt?«
Er ließ den Kopf hängen und stütze sich auf die Ellenbogen. Die Frage war grausam, auch wenn Magenta das nicht wissen konnte.
»Es gibt jemanden.« Magenta neckte ihn spielerisch.
Natürlich gab es da jemanden. Und wenn sie einander jetzt nicht liebten, so dachte er, dass sie sich zumindest in Zukunft irgendwann mal lieben könnten, wenn sie die Gefühle zuließen. Clarisse LaBonté, Orvelas Tochter. In gewissem Sinne waren sie zusammen unter diesem Dach aufgewachsen, sie lebten beide seit ihrer Kindheit dort. Manchmal, wenn er nachts in seinem Zimmer war oder darauf wartete, dass Mr Andrew zu seinem Wagen kam, reichten Clarissas Mokkateint und ihr langes, wildes Haar schon, um seine Tagträume zu beleben.
Aber er war jemand, der seine Augen und Ohren offen hielt. Vielleicht war er im French Quarter erbärmlich gescheitert, aber in Twin Oaks wusste er, was Sache war. Er wusste durchaus, dass Clarisse für ihn unerreichbar war. Man begehrte nicht die Freundin seines Bosses.
»Es könnte sein«, sagte Napolean leise. »Aber für sie … bin ich jetzt so gut wie tot. Ich werde sie nie wiedersehen.«
Magenta berührte seinen Arm. »Ach, das ist aber verdammt traurig.« Er wusste, dass sie das auch so meinte, er konnte das Bedauern in ihrer Stimme hören, aber er war nicht in der Lage, sich das Leid in vollem Ausmaß vorzustellen, das sie dank ihrer Eigenheiten erleiden musste. Welche Träume mochte Magenta unter ihrer kupferfarbenen Perücke haben?
»Süßer, ich sag dir eins: Es macht keinen Sinn, dass eine Frau dich für tot hält, solange du noch außerhalb des Sarges herumläufst.«
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht werde ich sie eines Tages überraschen.«
»Und was stellen wir bis dahin mit dir an?«
»Ich könnte mir irgendwo einen Job suchen.«
Magenta kicherte leise und kehlig. »Ich habe zwar gesagt, dass ich noch keinen Dümmeren als dich getroffen habe, aber ich glaube, dass du clever bist und dir einen Job gesucht hättest, bevor man dich verprügelt hat. Einen verprügelten Streuner wie dich wird niemand einstellen. Aber … ich glaube, es ist machbar.«
Bei diesen Worten sah er auf.
»Wenn du etwas sehen könntest, dann wären dir die Kerzen in meinem Zimmer aufgefallen. Ich zünde immer eine Kerze an, bevor ich nachts ausgehe, ich stelle sie direkt vor das Bild des heiligen Antonius. Versteh mich nicht falsch, ich bin nicht abergläubisch, aber ich gehe doch lieber auf Nummer sicher, damit mir nichts passiert. Das Geschäft, in dem ich meine Kerzen kaufe, liegt an der South Rampart. Vielleicht kann ich dich da hinbringen. Mama Charity hat schon früher öfter Streuner aufgenommen, und von denen sahen einige schlimmer aus als du. Vielleicht findet sie ja Gefallen an dir.«
»Was für ein Geschäft ist das?«
»Es ist
Weitere Kostenlose Bücher