Totenstadt
Kreativabteilung im Dunkeln lag.
Und das kam ihm komisch vor.
Todd sollte doch hier sein. Aber wo war er denn überhaupt? Normale Menschen ließen das Licht doch an, wenn sie für einige Minuten auf die Toilette gingen, oder? Klar taten sie das.
Justin schaltete das Licht ein, als er an seiner Abteilung vorbeikam, und ging weiter. Er bemühte sich, besonders leise zu gehen, auch wenn er es zuerst gar nicht bewusst tat.
Seit dem Morgen, an dem Justin Todd Whitley den Magnolienblüten-Auftrag abgenommen hatte, war der Kontakt zwischen ihnen nur noch minimal und ziemlich kurz angebunden gewesen. Er hatte das Gefühl, dass er für diesen Triumph seitdem zur Kasse gebeten wurde und ihn nach und nach mit winzigen Stücken seiner Seele bezahlte. Nur zu, Todd, nimm ihn zurück. Ich will ihn nicht mehr … Das hätte er problemlos sagen können, und es wäre noch nicht einmal gelogen gewesen, aber seine Dickköpfigkeit und sein Stolz verhinderten das.
Die Büros der Kundenbetreuer. In einem der Büros brannte auch so spät in der Nacht noch Licht. Justin stand im Türrahmen, und einen Moment später sah ihn Todd und blickte erschrocken vom Schreibtisch auf.
»Was machst du in Leonards Büro?«, wollte Justin wissen.
Todd saß hinter einem Haufen aus Leonards Disketten, Papieren und Aktenordnern. Ein Teil der Unordnung war im Laufe des Tages bereits von anderen verursacht worden, da man noch keinen Ersatz für Leonard eingestellt hatte und die anderen Kundenbetreuer bei Bedarf und Eignung für ihn einsprangen. Aber Todd?
»Ich suche nach einigen Klienteninformationen«, erwiderte Todd. Seine Stimme klang gepresst und gezwungen, als wolle er die Luft im Büro nicht einatmen, solange sich Justin dort aufhielt. »Die Nummer des Urlaubsorts. Jemand hat sie Leonard vor nicht einmal einer Woche gegeben, und er hatte sie mir noch nicht mitgeteilt, aber ich muss sie morgen früh unbedingt haben. Hast du damit ein Problem?«
Justin biss sich auf die Zunge. Er nickte, drehte sich um und ging zurück in die Kreativabteilung.
Das fluoreszierende grelle Licht kam ihm bei Nacht noch unnatürlicher vor, es war hart und schmerzte. Er setzte sich an seinen Schreibtisch in seinem abgetrennten Arbeitsbereich und schaltete seinen Macintosh ein, der zum Leben erwachte, dann holte er die Diskette aus der Tasche und steckte sie in das Laufwerk. Sie wurde eingelesen, was schon ein Grund zum Feiern war, und einen Augenblick später kam Todd in den Raum.
»Hast du die Nummer gefunden?«, fragte Justin.
»Ja.« Er ging an seinen eigenen Arbeitsplatz, vier Abteile weiter. Die beiden starrten sich über diese erbärmlichen Behelfswände an, die nicht einmal eineinhalb Meter hoch waren. Sie waren wie Kinder, die einander aus ihren Schneeburgen beäugten, von denen jedes glaubte, die eigene sei besser als alle anderen.
Sie zogen ihre Köpfe wieder ein, und Justin lauschte, wie Todd sich niederließ. Er wurde vollständig über die Geräusche definiert: das Klirren des Stifts, der gegen eine leere Kaffeetasse stieß, ein kurzes Aufseufzen, ein schnelles Durchblättern von Papieren. Alles in allem eher Zeitverschwendung. Justin entschloss sich, es im Moment dabei zu belassen, und öffnete die Daten auf Leonards Diskette.
Etwa drei Viertel des Speicherplatzes waren belegt. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob der Großteil davon mit Mullavey Foods zusammenhing, und sein Magen zog sich zusammen. Da waren größtenteils Textdateien und Tabellen. Er ließ den Mac die Dateien nach dem Typ gruppieren, damit er sie kategorisch sortieren konnte.
Er saß da und starrte auf den Bildschirm, die Pixelschatten in Schwarz, Weiß und vor allem Grau. Er sah mit finsterer Entschlossenheit die Dateien durch. Es war alles sehr trocken: Medienzuweisungen und -zeitpläne, Kostenhochrechnungen, Marktanalysen und grafische sowie Zielmarktprofile … damit konnte man jede Schlaflosigkeit in kurzer Zeit heilen. Es gab jede Menge Unterordner, die Software speicherte die Dateien in elektronischen Ordnern, und diese konnten in weiteren Unterordnern von Ordnern gespeichert werden. Es war ein Labyrinth aus Informationen.
Er war schon seit fünfunddreißig Minuten damit beschäftigt, als er zur untersten Ebene kam. Er hatte sich durch fünf Ordnerebenen gearbeitet und dabei mit dem ersten Dokument begonnen, das Marktforschung hieß. Mit jeder Ebene, die er weiter nach unten kam, wurden die Dateien spezifischer, bis er auf einen Ordner stieß, der nur durch ein Datum,
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