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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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dünn, hatte mittelbraune Haut und hockte vor ihm in einem dunkelblauen paillettenbesetzten Kleid mit einem Schlitz bis zum Oberschenkel sowie großen hochhackigen Schuhen. Eine Stola aus Kunstpelz, die schon bessere Tage gesehen hatte, lag um ihre Schultern, und sie hielt eine winzige Satinhandtasche an eine Hüfte gedrückt. Er hatte mal gehört, wie Mr Andrew so eine Tasche Nuttenhandtasche genannt hatte. Er sah einen Adamsapfel, und alle Zweifel waren beseitigt, aber das Gesicht darüber war hübsch, wenn auch recht übermäßig geschminkt. Schwere falsche Wimpern mit ausdrucksvollem Lidschatten darüber und ein hellroter Schimmer auf den Lippen. Ihr Haar war eine wilde Perücke aus kupferfarbenen Locken.
    Ihr. Napolean wusste es besser und konnte dennoch nicht anders, als so zu denken. Er hatte viel zu große Schmerzen, als dass es ihm etwas ausmachte.
    »Wer bist du?«, brachte er gerade so hervor. Was schien doch eher unhöflich zu sein.
    »Magenta. Und das ist alles, was du wissen musst.« Sie öffnete ihre Handtasche. »Du siehst zwar aus wie ein verdammter Collegeidiot, nur dass du nicht so clever bist. Ich habe noch nie jemanden mit weniger Verstand gesehen als dich. Du siehst aus, als wärst du vom Cheerleaderwagen gefallen. Ich werde dir erst mal das Blut aus den Augen wischen.«
    Sie zog ein frisches Taschentuch hervor und legte es zusammen, dann benetzte sie es mit Spucke und wischte ihn ab, als wäre ihr die Mütterlichkeit angeboren. Es tat weh, er zuckte zusammen und protestierte, aber sie hielt ihn mit starker Hand fest.
    »Was höre ich da in deiner Stimme?«, fragte Magenta. »Bist du Jamaikaner?«
    Er versuchte zu nicken. »Nah dran.«
    »Hach, ist das nicht großartig, Süßer, ich liebe Jamaikaner. Ich hatte noch nie ein schlechtes Erlebnis mit einem Jamaikaner, mit Ausnahme des Kerls von der Colabande, und bei dem konnte ich mich nie so recht entscheiden.« Sie hielt seinen Kiefer mit den Fingerspitzen fest, und durch den Nebel konnte er erkennen, wie sie ihn mit schwerem Seufzen ansah. »Sag mir bitte, dass du einen Ort zum Schlafen hast.«
    Er hätte es beinahe getan, nur um ihr nicht weiter zur Last zu fallen. »Nein.«
    Magenta seufzte erneut. Sie sah auf das blutige Taschentuch in ihrer Hand herab und warf es dann beiseite. Dann blickte sie wieder zu ihm und schürzte ihre dicken roten Lippen voller Verzweiflung. »Oh großer Gott, warum ich? Okay. Sieh dich nur an. Du schwillst ja immer weiter zu, während ich hier sitze. In zehn Minuten wirst du gar nichts mehr sehen können. Ich kann dich doch nicht hier lassen, wenn morgen früh die Straßenfeger kommen, können sie dich sonst gleich in den Abfluss kehren.«
    Napolean hob einen Arm und tastete mit einem Finger die weiche Wölbung um seine Augen herum ab. Er hätte am liebsten Magentas Hand genommen und nie wieder losgelassen. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so allein gefühlt; das war das Schlimmste, was er sich je hätte vorstellen können.
    »Nun«, sagte Magenta mit zurückhaltender Entschlossenheit, »du magst zwar blöd sein, aber du siehst zumindest stubenrein aus. Es wird mich wohl nicht umbringen, wenn ich dich aufnehme, bis du wieder gucken kannst.«
    Er konnte nichts dagegen tun. Er umklammerte Magentas Hand mit ihren langen lackierten Nägeln. Es war ihm plötzlich völlig egal, dass er zu einem jammernden Findelkind degeneriert war, und er stammelte seinen Dank mit brüchiger Stimme hervor.
    »Oh, sei doch still, du. Und fass mich nicht an, es sei denn, du hast vor, mich für das Privileg zu bezahlen, und so wie du aussiehst, wirst du dir das wohl kaum leisten können.«
    Magenta erhob sich und half ihm, wieder auf die wackligen Beine zu kommen. »Wie heißt du überhaupt?«
    »Napolean. Napolean Trintignant.«
    Sie rückte ihr Kleid zurecht, glättete es an ihrem Körper und drapierte auch ihre billige Stola und ihre Perücke neu. Was immer ihren BH füllte, wurde ebenfalls gerichtet. Sie schnalzte mit ihren Lippen und warf die Schultern nach hinten, und schon war es, als ob eine völlig neue Identität wiederhergestellt worden sei.
    »Nun, Napolean, Süßer, steck eine Hand in dein Sweatshirt und nimm meinen Arm wie ein Gentleman.« Magenta begann, ihn zurück in den Strom der Fußgänger zu führen. Sie bildeten das seltsamste Pärchen weit und breit, doch kaum jemand warf einen zweiten Blick auf sie. Zu ihm hingewandt schloss sie mahnend halb die Lider und sagte: »Und pass auf, dass du mir unterwegs nicht

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