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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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klang aufgekratzt und gesprächig. »Ich habe soeben einen Blick auf Ihre Jane Doe geworfen. Vielleicht sollten wir uns treffen.«

3
    J enny betrat das Anatomiegebäude. Einer der einsilbigen Assistenten hatte den Türsummer betätigt. Er war ein klassischer Vertreter dieses schweigsamen, wortkargen Völkchens, das man bestenfalls von Weitem, wenn es unter sich war, mal lachen hörte. Vorsichtig ging sie über den frisch gewischten Boden im Foyer. Hinter der Schwingtür wurden plötzlich Stimmen laut. Als sie hindurchtrat, erblickte sie einen muskulösen jungen Mann in Chirurgenkluft, vermutlich der neue Gerichtsmediziner, der sein Bestes gab, um sich gegen einen angriffslustigen Schotten zur Wehr zu setzen. Der Besucher trug einen schwarzen Anzug und einen Mantel derselben Farbe und hatte einen drohenden Tonfall angeschlagen. Als er dem Pathologen einen Finger zwischen die Rippen stieß, wich Jenny erschrocken zurück.
    »Hören Sie zu, mein Sohn. Die Kleine meines Klienten ist seit sechs Monaten verschwunden, und noch immer gibt es keine Spur. Dem armen Schwein sind alle Haare ausgegangen, und es würde mich nicht wundern, wenn er auch noch Krebs bekommen würde, wenn er sie nicht bald findet.«
    »Sie müssen mit der Polizei wiederkommen. Sie können hier nicht einfach so hereinspazieren und verlangen, die Leiche anzusehen.«
    »Ich bin sein Anwalt, verdammt noch mal, sein Rechtsvertreter. Ich weiß, dass es mit der Bildung heutzutage nicht mehr weit her ist, aber Ihnen dürfte trotzdem klar sein, wasdas heißt.« Er wischte sich das widerspenstige rotblonde Haar aus der Stirn und gab die Sicht auf ein früher mal attraktives Gesicht frei, das jetzt faltig und verlebt war.
    Der Gerichtsmediziner stemmte die Hände in die Hüften, hielt seine Stellung und brachte seine durchtrainierten Schultern zur Geltung. »Okay, das reicht jetzt. Ich habe Ihnen erklärt, wie sich die Sache verhält. Sie haben die Nummer des Polizisten: Rufen Sie ihn an. Ich muss an meine Arbeit.« Er sah an dem Mann vorbei zu Jenny. »Entschuldigung, Madam. Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Doch der Schotte dachte gar nicht daran, klein beizugeben. »Was zum Teufel macht es für einen Unterschied, wenn ein Bulle dabei ist, der meine Hand hält?«
    Jenny trat zu den beiden Männern. »Jenny Cooper, Coroner des Severn Vale District. Ich bin zurzeit für die Leiche zuständig.« Sie hatte sofort beider Aufmerksamkeit. »Dr. Kerr?«
    »Ja.«
    Sie wandte sich an den Besucher. »Und Sie sind?«
    »Alec McAvoy. Von O’Donnagh and Drew.« Er musterte sie mit überraschend blauen Augen, die zu einem erheblich jüngeren Gesicht gehörten. »Besteht die Chance, dem jungen Herrn Nachhilfe in Rechtsdingen zu geben?«
    Jenny ignorierte die Bemerkung. »Wenn Sie mir sagen, wen genau Sie vertreten, kann ich Ihnen möglicherweise helfen.«
    »Mein Klient ist Stewart Galbraith. Meine Kanzlei vertritt die Familie seit Urzeiten. Die Polizei hat ihm von der Leiche erzählt.«
    »Welche Polizei?«
    »Jetzt machen Sie aber Witze. Woher soll ich das wissen? Haben Sie in letzter Zeit mal bei den Bullen angerufen? Wenn man nicht gleich in Bangalore landet, gerät man an einen verfluchten Automaten.«
    Jenny sah Dr. Kerr zornig werden, blieb selbst aber ruhig. Rechtsanwälte wurden nun einmal dafür bezahlt, anderen Leuten auf die Füße zu treten. Obwohl er sich so aufplusterte, konnte Jenny den Schalk in McAvoys Augen sehen. Sein Verhalten war nicht persönlich gemeint.
    »Haben Sie eine Visitenkarte?«
    McAvoy schnaubte, wühlte in seiner Jackentasche und brachte eine Karte zum Vorschein: Alec McAvoy LLB, Legal Executive, O’Donnagh & Drew, Solicitors . Sie las die Angaben ein zweites Mal und fragte sich, warum ein Mann mit dem entsprechenden juristischen Abschluss kein richtiger Anwalt war.
    Er wusste, was sie dachte.
    »Dafür gibt es Gründe. Irgendwann werde ich sie Ihnen erzählen«, sagte McAvoy.
    »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich in Ihrer Kanzlei anrufe?«
    »Machen Sie nur.«
    Sie nahm ihr Handy, besann sich dann aber eines Besseren. Es kam ihr kleinlich vor, die Angaben auf der Visitenkarte anzuzweifeln. Der Name O’Donnagh & Drew war ihr aus ihren Jahren als Anwältin bekannt. Die Kanzlei war etabliert und zog praktisch alle bedeutenden Strafprozesse in Bristol an Land.
    Sie wandte sich an Dr. Kerr. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir schnell einen Blick auf die Leiche werfen? Es wird nicht lange dauern.«
    »Es ist Ihre Leiche, Mrs. Cooper. Ich bin

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