Totenstätte
erfolgreichen Geschäftsleuten und ausländischen Regierungen Bodyguards und Sicherheitsberater zu vermitteln. Diese Mitarbeiter rekrutiere er aus hochkarätigen ehemaligen Mitgliedern der Special Air Forces. Tathum sei einer davon gewesen und habe im Jahr 2002 drei Mal auf Vertragsbasis für ihn gearbeitet. Keiner der Aufträge, versicherte er in dem gelassenen Tonfall eines hohen Offiziers, habe darin bestanden, zwei junge indopakistanische Universitätsstudenten über die Severn Bridge zu begleiten.
Es ging auf vier Uhr zu, als Maitland zusammen mit Tathum den Saal verließ. Es hätte nahegelegen, die Sitzung erst einmal zu unterbrechen und über die Niederlagen des Tages Rechenschaft abzulegen, aber Jenny konnte es nicht ertragen, die Jurymitglieder mit einer längst gefassten Meinung nach Hause zu schicken. Es war ein Risiko, aber vielleicht war dies der richtige Moment, um McAvoy hereinzuholen. Sein Auftritt würde unkonventionell sein, er würde ihnen Spekulationen und Unterstellungen liefern, aber zumindest würde er die Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
»Können wir bitte Mr. McAvoy hören«, sagte sie zu Alison.
Ihre Assistentin warf ihr einen Blick zu, als hoffte sie, dass Jenny wusste, was sie tat. Dann durchquerte sie den Saal,um McAvoy aus der Vorhalle zu holen, wohin er in der Mittagspause verbannt worden war. Es dauerte ungewöhnlich lange, dann kehrte Alison allein zurück und erklärte, dass McAvoy laut dem Kriminalbeamten an der Eingangstür das Gebäude vor einer Stunde verlassen habe.
»Oh«, sagte Jenny und konnte ihre plötzlich aufsteigende Panik nicht verbergen. »Nun, dann sollten wir es vielleicht für heute dabei bewenden lassen und zusehen, dass wir ihn morgen früh als Ersten befragen.«
Jetzt schaltete sich Martha Denton ein. »Wenn ich Sie noch einen Moment belästigen dürfte, Ma’am? Am liebsten ohne die Jury.«
»Gibt es eine rechtliche Frage?«
»Es ist eher eine Verfahrensfrage, die aber die Jury nicht interessieren muss. Ich nehme an, dass die Herrschaften nach einem so langen Tag mehr als froh sind, endlich nach Hause gehen zu dürfen.«
Ihre Worte wurden mit dankbarem Gelächter quittiert.
»Gut«, sagte Jenny und erinnerte die Jurymitglieder daran, dass sie den Fall mit niemandem besprechen durften, nicht einmal mit den engsten Verwandten. Noch während Jenny redete, sammelten die Juroren Mäntel und Taschen zusammen und eilten fast unhöflich schnell aus dem Saal.
»Also, Miss Denton«, sagte Jenny, während sie immer noch zu akzeptieren versuchte, dass McAvoy sie im Stich gelassen hatte.
Martha Denton holte mehrere Kopien heraus. Alison reichte Jenny eine davon, während die anderen den Anwälten ausgehändigt wurden.
»Im Interesse der Klarheit der Rekonstruktion des Verschwindens der beiden Jungen war es meinen Klienten wichtig, dass David Skene in seiner Aussage das Wesentliche darlegt«, sagte Denton. »Wie Sie sehen werden, stellt sich darineine wichtige rechtliche Frage, von der meine Klienten allerdings annehmen, dass sie gelöst werden kann.«
»Warten Sie, Miss Denton.«
Jenny überflog die kurze, nur drei Absätze lange Aussage.
Mein Name ist David Skene, und ich war Agent im Dienste der britischen Geheimdienste. Von 2001 bis 2004 war ich einem Antiterrorteam zugeordnet. Anfang Juli 2002 wurde ich gebeten, eine Einheit zu leiten, die mit der Kriminalpolizei von Bristol im Fall des Verschwindens der zwei indopakistanischen Studenten Nazim Jamal und Rafi Hassan zusammenarbeiten sollte. Jamal und Hassan waren regelmäßig in die Al-Rahma-Moschee gegangen. Die Moschee stand unter polizeilicher Beobachtung, weil Geheimdienstinformationen zufolge der damalige Mullah Sayeed Faruq und ein paar seiner Vertrauten, einschließlich des Studenten Anwar Ali, Personen für die islamistische Organisation Hizb ut-Tahrir rekrutierten.
Im Verlauf der folgenden Wochen haben mein Kollege Ashok Singh und ich eine Reihe von Studenten und Mitarbeitern der Universität sowie Mitglieder der Familien der beiden Männer befragt. Verwertbare Hinweise auf den Verbleib der beiden haben wir nicht erhalten. Die Kriminalpolizei hatte mehr Erfolg. Insbesondere erfuhr sie durch einen Bericht der damaligen Studentin und jetzigen Frau Dr. Sarah Levin, dass Jamal in einer Studentenmensa mit größter Bewunderung von jungen britischen Radikalen geredet haben soll, die als Gotteskämpfer nach Afghanistan gegangen seien. Dann meldete sich ein Bürger zu Wort, Mr. Robert Donovan, der
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