Totenstätte
und Miss Denton fragt sich noch, warum? Ihre Klienten sind keine Respektspersonen, sie sind eher Mitglieder einer Geheimpolizei. Glauben Sie wirklich, Miss Denton, es liege im öffentlichen Interesse, solche Informationen zurückzuhalten? Ich sage Ihnen mal, was im öffentlichen Interesse liegt – eine faire und gerechte Justiz.«
»Ich habe alles zur Kenntnis genommen, Mr. Khan«, sagte Jenny. Sie brauchte Zeit, um Recherchen anzustellen und Argumente zu finden, die genauso stark waren wie die von Martha Denton. »Ich werde die Anhörung vertagen und diesen Punkt morgen früh als Erstes zur Diskussion stellen.«
Doch Denton ließ sich nicht zum Schweigen bringen. »Ich bin mir nicht sicher, ob das nötig sein wird, Ma’am. Da meine Klienten entschlossen sind, direkt zum Obersten Gerichtshof zu gehen, falls Ihre Entscheidung zu ihren Ungunsten ausfällt, erscheinen mir weitere Diskussionen ziemlich überflüssig. Darüber hinaus liegen, soweit ich es beurteilen kann, keinerlei Beweise dafür vor, dass Nazim Jamal oder Rafi Hassan tot sind. Ich weiß also nicht, auf welcher Basis die Jury überhaupt zu einem vernünftigen Urteil gelangen will.«
Jennys angeschlagene Nerven gingen mit ihr durch. »Miss Denton, ich habe für diese Untersuchung gekämpft, und ich werde sie bis zum bitteren Ende durchziehen. Wenn alle Aussagen auf dem Tisch liegen und die Jury nicht zu einem Urteil gelangt, dann sei’s drum. Aber bis dahin bin ich nicht gewillt, mir von Ihnen oder von irgendjemandem, den Sie vertreten, irgendetwas sagen zu lassen. Haben Sie mich verstanden?«
Martha Denton zuckte gleichgültig mit den Achseln. Es interessierte sie nicht länger, was Jenny dachte.
Als Denton und Havilland ihre Papiere zusammensuchten und Khan und Collins zu Mr. Jamal gingen, um ihrer Empörung Luft zu machen, bemerkte Jenny, dass Alison in der Nähe des Sitzungsraums stand. Der Gesichtsausdruck ihrer Assistentin verriet schuldbewusste Unentschlossenheit. Jenny kannte die Miene schon von den traumatischen zwei Wochen ihres ersten gemeinsamen Falls im letzten Sommer. Alisons Welt war in gute und böse Menschen eingeteilt. Wenn die Kategorien verschwammen, wurde sie konfus und wütend.
Jenny fing Alisons Blick auf und merkte, dass sie sich beide mit denselben Gedanken herumschlugen. Eher würde die Hölle gefrieren, als dass sich Skene oder ein anderer Geheimdienstmitarbeiter dazu überreden ließ, in dieser Untersuchung die Wahrheit zu sagen. Auf der anderen Seite der Tür saß wiederum Kriminalinspektor Dave Pironi, ein Karrierepolizist, den nur noch wenige Jahre von seiner Pensionierung trennten. War er anständig und mutig genug, um eine bequeme Zukunft zu gefährden? Würde Alison ihren geringen Einfluss nutzen, um ihn zu überzeugen?
Martha Dentons Solicitor ging in Richtung Sitzungsraum. Alison hielt ihn mit einer Handbewegung auf und verschwand hinter der Tür. Sekunden später kam David Skene heraus, kurz darauf folgte Alison, die Jenny einen Blick zuwarf und kaum wahrnehmbar nickte.
Den Ort hatte Pironi vorgeschlagen: ein verlassener, von der Straße nicht einsehbarer Parkplatz, der in ein Wäldchen überging. Es war eiskalt und dunkel, aber der milchige Mond spendete genug Licht, sodass Jenny auf den Vordersitzen von Alisons Wagen die Umrisse zweier Gestalten erkennen konnte. Einen Moment sah es so aus, als würden sich ihre Köpfe zum Gebet neigen. Jenny meinte beobachten zu können, dass sich Pironis Lippen bewegten und sein Oberkörper leicht vor und zurück wippte. Alison legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
Sie sprachen fast zwanzig Minuten miteinander. Während Jenny wartete, versuchte sie mehrfach erfolglos, McAvoy anzurufen. Sein Handy war ausgeschaltet. Möglicherweise hatte er eine Spur gewittert, war jetzt unterwegs, handelte Deals aus und rang Leuten Informationen ab, die er dann mit großer Geste präsentieren würde. Martha Denton und Alun Rhys würden toben.
Als eine Tür zuschlug, schaute Jenny wieder auf. Pironi lief die paar Schritte zu seinem Auto und fuhr schnell davon. Alison wartete, bis die Rücklichter in der Nacht verschwunden waren, dann ging sie die zehn Meter über den gefrorenen Matsch und setzte sich neben Jenny. Einen Moment lang schwieg sie und sammelte sich, die Hände im Schoß.
Sie roch nach ihrem Wagen und auch ein wenig nach Pironi. Jenny fühlte sich, als wäre sie in die Intimsphäre der beiden eingedrungen.
»Er möchte nicht unter Eid aussagen«, erklärte Alison
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