Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
Vom Netzwerk:
nicht, warum ich dir das überhaupt erzähle … Eigentlich hätte ich gedacht, dass ich über sie hinweg bin, aber sie ist so eine Art Dämon. Du weißt schon – die Person in der Welt, die dich mit einem einzigen Wort vernichten kann.«
    Jenny hatte ihn noch nie so aufgewühlt und nachdenklich erlebt, aber sie konnte ihn verstehen. Sie selbst kannte Frauen wie Sarah-Jane. Emotionale Parasiten, die Eigennutz und gewalttätige Launen als Kreativität ausgaben. Steve dagegen war methodisch, zielstrebig und außerdem, wie Jenny mit der Zeit gemerkt hatte, in mancher Hinsicht sehr feinfühlig. Am liebsten hätte sie ihn mit nach Hause genommen, ihngetröstet und aufgebaut. Gleichzeitig aber hatte sie Angst, ihn zu sehr zu bemuttern und ihn dadurch noch stärker von sich zu stoßen.
    Sie wollte etwas Nettes und Intelligentes sagen, tatsächlich aber sagte sie: »Das Letzte, was du vermutlich brauchst, ist noch eine komplizierte Frau, mit der du dich herumschlagen musst.« Noch als sie die Worte aussprach, merkte sie, wie bedürftig sie klangen.
    »Es ist kalt. Ich sollte dich heimbringen«, sagte Steve.
    Er begleitete sie bis zur Haustür und verschwand, ohne auf den üblichen Moment zu warten, in dem sie ihn hereinbat. Sie war verwirrt. Er war zu ihr gekommen, aber ab einem gewissen Punkt während ihres Spaziergangs hatte sie sich gefühlt, als würde sie sich ihm aufdrängen. Eigentlich hatte sie gedacht, ihn mittlerweile zu verstehen und ihn von seiner gelegentlichen Melancholie befreien zu können. Doch heute hatte nichts funktioniert.
    Ross war noch nicht wieder zu Hause, und das Cottage war kalt und ruhig. Als Jenny in der Stille stand, hörte sie, wie sich das alte Gemäuer knackend bewegte. Ihre Einbildungskraft verwandelte die Geräusche selbst in ihrem fünften Lebensjahrzehnt noch in Gespenster. Ein leises Klopfen in der Warmwasserleitung wurde zum verlorenen Geist der Jane Doe, der ruhelos umherwanderte und nach einer irdischen Seele suchte, der er seine Geheimnisse ins Ohr flüstern konnte.
    Jenny zog sich in das kleinste, sicherste Zimmer zurück, in ihr Arbeitszimmer direkt neben der Treppe. Sorgsam schloss sie die Tür hinter sich und schaltete den Heizlüfter an, mehr wegen seines beruhigenden Geratters als wegen der schwachen Heizkraft. Aus der untersten Schreibtischschublade holte sie ein Notizbuch hervor, das als das Tagebuch für Dr. Allen dienen sollte. Einen Moment lang schloss sie dieAugen und ließ ihre Gefühle so klar in ihr Bewusstsein dringen, wie sie es ertragen konnte. Dann schrieb sie.

    Montag, den 25. Januar
    Sie haben mich gefragt, ob ich glaube. Mir ist nicht klar, was das bedeutet. Habe ich eine Religion? Nein. Glaube ich an einen Gott und den Teufel? Ja. An Himmel und Hölle? Ich denke schon. Warum? Weil ich den Raum dazwischen kenne, die Vorhölle. Der Ort, vor dem ich mich fürchte. Der leere Raum, die Vergessenheit, in der die Seelen warten, unfähig, irgendetwas zu fühlen oder zu wissen, wie oder warum. Ich hasse es zu wissen. Ich wünschte, ich könnte alles ins Hier und Jetzt herüberziehen, könnte in der Gegenwart leben, fröhlich und ignorant. Doch aus irgendeinem Grund hat man mir den Blick darüber hinaus ermöglicht, und ich wünschte, ich könnte die Tür schließen.

4
    A lison legte schnell den Hörer auf, als Jenny ins Büro kam. Sie wirkte nervös.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Jenny.
    »Ja.«
    Jenny war klar, dass nichts in Ordnung war, aber sie wusste auch, dass es Alison stören würde, wenn sie nachbohrte. Aus Gesprächsfetzen, die sie von Telefonaten mitbekommen hatte, hatte sie geschlussfolgert, dass Alison und ihr Ehemann Terry gerade eine schwere Zeit durchmachten. Er war ebenfalls Polizist gewesen und wechselte jetzt von einem frustrierenden befristeten Job zum nächsten. Zuletzt hatte er für einen Privatdetektiv gearbeitet, der bei einem Versicherungsunternehmen unter Vertrag stand. Terrys Aufgabe war es gewesen, Leuten hinterherzuspionieren, die Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen wollten. Alison hatte es geschmacklos gefunden, jemandem mit einer Videokamera zu folgen, um zu dokumentieren, dass er, obwohl krankgeschrieben, mit seinen Kindern Fußball spielte, aber Terry wollte unbedingt eine Eigentumswohnung an einem spanischen Golfplatz kaufen, und es war ihm ziemlich egal, woher das Geld dafür kam.
    »Mrs. Jamal hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen«, sagte Alison knapp. »Fünf Nachrichten vielmehr.«
    »Oh. Was wollte

Weitere Kostenlose Bücher