Totenstätte
betrete.«
»Weil du hinterher nie sauber machst.«
»Du wolltest doch mit einem Teenager zusammenleben. So sieht die Realität aus.« Er zuckte mit den Achseln, grinste sarkastisch und verließ die Küche.
Jenny folgte ihm. »Wie kommst du um diese Zeit zu Karen?«
»Laufen.«
»Aber es ist eiskalt.«
»Nicht viel kälter als hier drinnen.« Er ging durch die Wohnzimmertür in die Diele. »Steve hat angerufen.«
»Was wollte er?«
»Hat er nicht gesagt.«
Mit einem Knall schloss er die Haustür hinter sich und war in der Nacht verschwunden.
Jenny ließ ihn ziehen. Sie fühlte sich zu schwach für weitere verbale Auseinandersetzungen. Sie wusste, dass es Teil des Erwachsenwerdens war, dass er sie von sich stieß, aber leichter zu ertragen war es deswegen auch nicht.
Sie erwog ihre Möglichkeiten: sich ins Auto setzen und einen geöffneten Supermarkt suchen oder sich hungrig an den Schreibtisch setzen, die überfälligen Todesmeldungen abarbeiten und früh schlafen gehen. Keine der beiden Optionen war verlockend. Sie ließ sich in einen Sessel fallen und dachte darüber nach, wie sie ihr häusliches Leben gestalten konnte, damit sich Ross in den achtzehn Monaten, die ihm noch blieben, bis er auf die Uni gehen würde, hier wohlfühlte. Es musste ein System her, damit die planlosen Ausflüge zu Tankstellenshops aufhörten. Das Cottage musste gemütlicher werden. Alles bestand aus Holz und Stein, und Ross bevorzugte offenbar die gesichtslosen, mit Teppichboden und Zentralheizung ausgestatteten Häuser seiner Freunde. Sie musste sich endlich wie eine richtige Mutter benehmen.
Jenny hatte sich gerade überwunden, nach oben zu gehen, weil sie den Saustall von seinem Zimmer aufräumen wollte, als es an der Haustür klingelte. Vorsichtig schaute sie um den Vorhang des Flurfensters herum und war erleichtert. Es war nicht Ross, der zurückkam, um sie zu beschimpfen. Es war Steve.
Sie öffnete. Er stand in Wanderstiefeln und einem dicken Mantel vor ihr, eine Taschenlampe in der Hand. Alfie, sein Border Collie, schnüffelte im Vorgarten.
»Lange nicht gesehen«, sagte Jenny. Gegen ihren Willen klangen die Worte vorwurfsvoll.
Er lächelte entschuldigend. »Ich dachte, es wär mal wieder an der Zeit.«
»Möchtest du hereinkommen?«
»Ich gehe mit Alfie spazieren. Er war den ganzen Tag zu Hause. Willst du mitkommen? Es ist ein wunderschöner Abend.«
In schnellem Tempo gingen sie die steile, schmale und von dichten Hecken gesäumte Straße hinauf und bogen dann in einen Feldweg ein, der in den Wald führte. Alfie rannte ihnen voraus, die Schnauze am Boden, und brach ab und zu ins Unterholz aus. Jenny ging neben Steve. Ihre Arme berührten sich, aber keiner war gewillt, die Hand des anderen zu nehmen. Seit sie sich im letzten Juni erstmals begegnet waren, hatten sie nicht mehr als ein halbes Dutzend Nächte miteinander verbracht und nur ein Mal über ihre »Beziehung« geredet. Zu einem Ergebnis waren sie nicht gekommen, außer dass Steve nach zehn Jahren in der Wildnis bereit gewesen war, sein Architekturstudium wieder aufzunehmen und einen Abschluss zu machen. Um finanziell zu überleben, hatte er sein Bauernhaus an ein paar Londoner vermietet, die an den Wochenenden aufs Land fuhren, und wohnte jetztin einem Raum, den er sich über der Scheune eingerichtet hatte. Er hatte nie gefragt, ob er bei ihr einziehen könne, und sie hatte es ihm nie angeboten. Allerdings konnte Jenny nicht behaupten, dass sie es nicht in Erwägung gezogen hätte. Allein zu wohnen war in Ordnung, aber mit einem launischen Teenager zusammenzuleben konnte verdammt einsam sein. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie sich die Durchsetzungskraft eines Mannes gewünscht hätte, um die Spannungen zwischen ihr und Ross zu lösen.
Gefrorener Matsch knirschte unter ihren Füßen. Ein Waldkauz rief, und aus den Tiefen des Waldes war eine Antwort zu hören.
»Weißt du, warum ich so gerne nachts hierherkomme?«, sagte Steve. »Man sieht keine Menschenseele. Alle hocken vor dem Fernseher und haben keine Ahnung, was es vor ihrer Haustür zu entdecken gibt.«
Er war stolz darauf, dass er nie einen Fernseher besessen hatte. Jenny hatte mal zu ihm gesagt, dass er für einen überzeugten Antimaterialisten ziemlich viel Ehrgeiz darauf verwende, sich von anderen in Äußerlichkeiten zu unterscheiden. Er hatte den Scherz nicht verstanden.
»Ist das deine Vorstellung von Glück – keinem anderen Menschen zu begegnen?«, fragte sie.
»Ich mag den
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