Totenstätte
Frieden.«
»Allein zu sein jagt den meisten eine Wahnsinnsangst ein.«
»Weil sie Angst vor sich selbst haben.«
»Du nicht?«
»Nein. Nie.«
In dieser Hinsicht hatte er sich verändert: Seit er kein Gras mehr rauchte, war er offener geworden. Er beantwortete Fragen, auf die er früher geschwiegen oder nur mit den Achseln gezuckt hätte. Jenny mochte seine neue Art.
»Macht es dir dann nichts aus, den ganzen Tag mit anderen Menschen in einem Büro zu sein?«, fragte sie.
»Das schaffe ich schon. Die meisten von uns haben eine Menge gemeinsam.«
»Ich dachte, Idealisten geraten unentwegt aneinander.«
»Bis jetzt nicht.«
Ihrem Zynismus zum Trotz gefiel ihr die Idee, dass Steve und seine selbst ernannten »Ökotekten« ihre Zeit dem Versuch opferten, die Welt zu einem schöneren, harmonischeren Ort zu machen. Ihre eigene Arbeit war immer ein einziger Kampf gewesen, und das schien sich auch nicht zu ändern.
»Tut es dir nicht leid, dass du dein Haus vermietet hast?«
»Doch, es ist furchtbar, aber es ist ja nicht für lange. In ein, zwei Jahren werde ich alles wieder übernehmen.«
»Dann wirst du vielleicht andere Pläne haben.«
»Wer weiß.«
Seine Antwort überraschte sie. Er hatte von seinem Hof immer in einer Weise gesprochen, als würde er seinem Leben Sinn und Beständigkeit verleihen. Die Wälder, in denen er arbeitete, und das Gemüse, das er zog, waren seine Welt. Alles andere diente nur dazu, ihm ein Leben in der Natur zu ermöglichen. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, ihn nicht zu kennen, dabei hatte sie ihm doch selbst das Stichwort gegeben. Vielleicht hatte sie seine Veränderung im Unterbewusstsein auch schon geahnt.
»Du könntest dir wirklich vorstellen, woanders zu wohnen?«
»Ich bin für alles offen.«
»Wahnsinn.«
Er schaute sie an. »Du bist es doch, die mich dazu gebracht hat.«
»Vielleicht war ich auch nur der nötige Vorwand?«
Er schaute weg. »Du kannst nie ein Kompliment einfach so hinnehmen, oder?«
Sie gingen schweigend weiter. Steve war in Gedanken versunken, und Jenny beschäftigte sich damit, sie zu erraten. Sie war es nicht gewöhnt, dass er so empfindlich reagierte. Er war immer so unbekümmert gewesen und hatte alles, was sie sagte, auf die leichte Schulter genommen. Ihre Beunruhigung wegen seiner Grübelei wuchs sich allmählich zu einem Unbehagen aus. Ihr wurde bewusst, wie wichtig es ihr war, dass sie gut miteinander auskamen, dass sie die Nacht miteinander verbringen würden und dass die Bilder von den Toten und den Vermissten, die ihre Gedanken bevölkerten, verschwinden würden.
Sie schob ihren Arm unter den seinen und drückte ihn fest an ihren Körper. Dann tastete sie nach seiner Hand und verflocht ihre kalten Finger mit den seinen. Sie waren warm und weicher, als sie sie in Erinnerung hatte. Sie gehörten zu Architektenhänden, nicht zu denen eines Arbeiters.
»Tut mir leid, dass so viel Zeit vergangen ist«, sagte sie leise. »Es ist nicht so, dass ich nicht an dich gedacht hätte.«
»Ist schon okay.«
»Es ist nicht so, dass … Ich habe so viel mit mir selbst zu tun. Die Arbeit, Ross …«
Steve zögerte, dann fragte er: »Gehst du noch zu dem Psychiater?«
»Ja. Mir geht es gut.«
»Sicher?«
»Warum? Wirke ich irgendwie merkwürdig?«
»Nein … Überhaupt nicht.« In seiner Stimme klang eine gewisse Unsicherheit mit.
»Was ist los?«, fragte Jenny. »Du bist so anders als sonst.«
»Nichts.«
Sie umklammerte seine Hand fester, entschlossen, ihn zum Reden zu bringen.
»Es ist wirklich nichts.« Er seufzte. »Nur … Kürzlich ist Sarah-Jane wieder aufgekreuzt …«
»Oh.« Die Eifersucht schlug Jenny sofort auf den Magen. Für sie hatte Steves Exfreundin immer einer fernen Vergangenheit angehört. Bei den wenigen Gelegenheiten, bei denen er sie erwähnt hatte, hatte er sie ihr wie ein Monster beschrieben: hoch kreativ, gefühlsgesteuert, unberechenbar. Schamlos hatte sie ihm jahrelang das Leben zur Hölle gemacht, bevor sie ihn dann verließ, um die Männer der restlichen Welt zu beglücken.
»Verrückt wie gehabt. Sie hat behauptet, ich schulde ihr Geld. Als ich sagte, sie solle verschwinden, ist sie unter lautem Gezeter abgehauen. Mitten in der Nacht kam sie dann zurück und wollte in mein Bett kriechen.«
»Und?«
»Was denkst du denn?«
»Entschuldigung.« Sie wünschte, sie hätte die Frage nicht gestellt. »Ich wollte nicht …«
»Ich weiß.« Steve ließ ihre Hand los. Gott, war er reizbar. »Ich weiß gar
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