Totenstätte
sie?«
»Größtenteils sich über die Polizei beschweren. Dass danur Lügner und Kriminelle arbeiten, die gerne wehrlose Frauen einschüchtern. Wenn sie nicht Muslima wäre, würde ich sagen, sie hat ein bisschen zu viel getrunken.«
Jenny ignorierte Alisons Seitenhieb, ging in ihr Büro und hörte die Nachrichten ab. Mrs. Jamal hatte zuerst um zehn Uhr abends angerufen, die letzte Nachricht war nach Mitternacht hinterlassen worden. Sie klang müde, einsam und verzweifelt, aber nicht verwirrt. Offenbar hatte sie ihre quälenden Gedanken mit irgendjemandem teilen wollen. Im Zentrum ihrer Klagen stand die Überzeugung, dass die Polizei viel mehr über das Verschwinden ihres Sohnes wusste, als sie zu erzählen bereit war. Jenny konnte sie verstehen, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass Mrs. Jamals Verdacht unbegründet war. Schon unter normalen Bedingungen war es schwer genug, die Polizei dazu zu bringen, eine vermisste Person zu suchen. Zwei junge Indopakistaner, die mit dem Extremismus geliebäugelt und das Land verlassen hatten, warfen heikle Probleme auf. Nach einer flüchtigen Suche würde die Akte mit dem Vermerk »Keine weiteren Ermittlungen« wieder im Regal landen.
Jenny zögerte zurückzurufen, rang sich dann aber dazu durch, weil sie zumindest ein paar grundlegende Dinge klären wollte.
Sie wählte Mrs. Jamals Nummer, geriet an einen Anrufbeantworter und hinterließ eine Nachricht auf dem Band. »Mrs. Jamal, hier ist Jenny Cooper, Coroner des Severn Vale District. Vielen Dank für Ihre Anrufe. Ich kann Ihnen versichern, dass ich dem Fall Ihres Sohnes meine volle Aufmerksamkeit widmen werde, aber wenn Sie vielleicht berücksichtigen könnten …«
Am anderen Ende wurde der Hörer abgenommen. Angespannt flüsterte Mrs. Jamal: »Sie haben mich beobachtet, Mrs. Cooper. Ich weiß es. Sie können von der anderen Straßenseite aus in meine Wohnung sehen. Die Männer sitzen in einem Auto. Einer von ihnen hat letzte Nacht hier einzubrechen versucht. Ich habe gehört, wie an der Tür herumhantiert wurde.«
»Das muss alles sehr beängstigend für Sie sein, Mrs. Jamal, aber Sie müssen mir vertrauen …«
»Nein, Mrs. Cooper, ich sage die Wahrheit. Jahrelang war Ruhe, aber jetzt sind sie wieder zurück. Ich kann sie von meinem Fenster aus sehen. Es sind zwei. Sie sind auch jetzt da.«
Legte sie jetzt auf, würde dies möglicherweise nur eine weitere Flut von Anrufen provozieren. Jenny beschloss, Mrs. Jamal entgegenzukommen. »Okay. Vielleicht könnten Sie zum Fenster gehen und mir sagen, wie die Männer aussehen und was für ein Auto sie fahren.«
Sie hörte, wie der Hörer hingelegt wurde und Füße über den Boden liefen. Ein Geräusch, als der Vorhang beiseitegezogen wurde, dann ein überraschter Ausruf.
Mrs. Jamal kam zum Telefon zurück. »Sie sind weg. Sie müssen uns gehört haben.«
»Aha«, sagte Jenny geduldig. »Ich möchte, dass Sie von nun an Folgendes tun: Melden Sie sich immer bei mir, wenn Sie irgendetwas bemerken, von dem Sie denken, dass ich es wissen sollte. Sobald ich ein paar Ermittlungen angestellt habe, werde ich eine gerichtliche Untersuchung einleiten.«
»Wann?«
»Das kann ich nicht genau sagen. Bald. In ein, zwei Wochen. Wenn Sie in der Zwischenzeit irgendetwas stört oder beängstigt, dann müssen Sie die Polizei verständigen.«
»Glauben Sie etwa, das hätte ich nicht getan? Ich rufe permanent dort an, und jedes Mal bekomme ich dieselbe Antwort: Name, Adresse, Nummer des Verbrechens. Wozu soll man sich an die Polizei wenden?«
Jenny hielt den Hörer vom Ohr weg, während Mrs. Jamal zu einer Tirade ansetzte. Als sie nach einiger Zeit noch immer keine Anstalten machte aufzuhören, unterbrach Jenny sie ruhig und versprach, sich zu melden, sobald sie irgendetwas herausbekommen hätte.
Alison kam aus dem Empfangsbereich herein und lächelte süffisant. »Wenn Sie mögen, kann ich ihre Nummer sperren lassen.«
»Sie wird sich schon beruhigen.«
»Sind Sie sicher, dass Sie den Fall übernehmen wollen? Es ist ja nicht so, dass sie mir nicht leidtäte, aber es gibt Leute, bei denen man einfach so ein Gefühl hat.«
»Und was sagt Ihnen Ihr Gefühl?«
Alisons Blick wirkte gequält. »Wir sind beide Mütter, Sie wissen doch, wie das ist. Wenn Ihnen irgendjemand irgendetwas über Ihren Sohn erzählt, das Sie nicht glauben möchten, wie würden Sie sich dann fühlen?«
Es war eins der seltenen Male, dass Alison ihre Tochter Bethan, ihr einziges Kind, immerhin indirekt erwähnte. Jenny
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