Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Image erschienen war? Wie hoch war der Druck, den die Detektei auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausübte, die von den Zeitungen geforderten Skandale und Sensationen aufzuspüren? Als ich so jung war wie sie, hatte ich für die Frauenzeitschrift Amazone Interviewpartner erfunden, übrigens aus Faulheit, nicht aus dem politischen Bedürfnis heraus, die Weltverschwörung von Banken, Politik und Männern gegen uns Frauen anzuprangern.
Ich hatte Zeit, dem beunruhigenden Gedanken nachzugehen, der sich vorhin in meinem Kopf aufgebläht hatte.
36
Hätten wir es wirklich noch aufhalten können? Schwer zu sagen. Ich hätte Richard auf unserer Fahrt nach Edinburgh unbedingt beiseitenehmen und ihm von meiner Befürchtung erzählen müssen, dass die Detektei SC & D zugegen gewesen war, als er und Finley sich, vermutlich nicht schweigend, die Kalteneck-Akten in Finleys Ordner anschauten, in denen sich der Name eines Mannes befand, der damals in der Wasserburg Türen anstrich.
Aber es war eben nicht so leicht, Richard beiseitezunehmen, in diesen drei Stunden, die unsere Fahrt noch dauerte.
Bob hatte das Radio laufen. Die Nachrichten beschäftigten sich aufgeregt mit der Polizeiaktion auf Iona. Was uns so gefährlich machte, begriff ich nicht ganz. Offenbar stand eine Drohung mit Anschlägen auf technische Einrichtungen mit Hilfe mentaler Kräfte im Raum. Obgleich so ungefähr alles, was unsere Drohung an Fantasien hervorbrachte, durch vernünftige Menschen in Interviews sofort widerlegt wurde, hörte es sich über eine Stunde lang so an, als hätten Extraterrestrische die Herrschaft übernommen und Maschinen, Vulkane und Menschen manipuliert, um Katastrophen zu erzeugen. Auch mit der These der Gang of Four, die von den Edinburgh Evening News aufgebracht worden war – dabei stellte Bob das Radio noch lauter –, befassten sich die Radiomoderatoren, um sie unverzüglich als wenig glaubhaft zu widerlegen. Nicht einmal für den Leichenfund in den South Bridge Vaults habe man eine polizeiliche Bestätigung bekommen.
»Da!«, rief Derya. »Da hören Sie’s!«
»Natürlich sagt die Polizei denen nichts«, antwortete Emma mit Augenaufschlag.
Derya schnaubte. »Sie leiden unter Paranoia, mein Kind.«
»Nein.« Emma lachte offen. »Es ist nur so: Der Sender hat kein Geld.«
»Was?«, entfuhr es Richard. »Sie bezahlen die Polizei für Informationen?«
»Wir nicht, dass das klar ist. Aber die Redaktionen, die tun es. Sie bezahlen die Polizei für Exklusivinfos. Das ist ein Geschäft.«
»Aber ein Leichenfund in den Vaults ist keine Exklusivinformation«, widersprach Richard. »Leichen werden offiziell dem Coroner überstellt. Ich kann bei ihm anrufen, und er sagt mir, ob es sie gibt oder nicht. Der Guardian hat das gemacht. Da steht, in dem Brunnen sei stark verwestes biologisches Material gefunden worden, vermutlich der Kadaver eines sehr großen Hundes.«
Derya schnaubte erleichtert. Und ich hatte an den Hound of Baskerville gedacht, in dem Moment, als Cipión vor Angst zitternd stehen blieb! Zufall?
»Glauben Sie wirklich, dass die Offiziellen immer die Wahrheit sagen?«
»Und Sie?«, fragte Derya streng über die Sitzlehne hinweg. »Sagen Sie immer die Wahrheit? Zumindest tragen Sie doch entscheidend dazu bei, dass sie öffentlich nicht gesagt wird.«
»Wer behauptet, er sage immer die Wahrheit, der lügt«, erwiderte das Mädchen. »Ich für meinen Teil liefere nur das, von dem ich glaube, dass es die Wahrheit ist. Wenn wir nicht sagen, was abgeht in der Welt, wenn die Presse es nicht schreibt, wer dann?«
Derya klappte den Mund zu und sagte nichts mehr.
Richard suchte, vermutlich aus alter Gewohnheit, Augenkontakt mit mir. Versteht die das denn nicht?, klagte sein Blick. Merkt die gar nicht, dass sie und ihre Auftraggeber selbst alles tun, um den Eindruck zu verstärken, dass man nichts glauben kann?
»Raststätten gibt es hier wohl keine«, bemerkte Derya mit dem gewissen Druck in der Stimme. Ich war auch für eine Pinkelpause. Die grandiose Landschaft mit ihren Oh-Ausblicken nahm quälende Gestalt an, wenn man nur noch Ausschau nach Erleichterung hielt.
Im Radio war die Explosion des Fahrzeugs von Prof. McPierson auf dem Parkplatz von Fionnphort dran. Spuren einer Bombe hatte die Polizei entgegen ersten Meldungen nicht gefunden. Vielmehr sei der offenbar bereits vorgeschädigte Benzintank durch den Aufprall des anderen Fahrzeugs gerissen, ein Reibungsfunke habe die Explosion verursacht. Und auf einmal
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