Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
auf der anderen Straßenseite vor dem Tor der QarQ-Zentrale am Potsdamer Platz, bis er herauskam und die U -Bahn ansteuerte. Er bestieg die U2 , stieg an der Schönauer Allee wieder aus, spazierte die zugeparkte Greifenhagener Straße hinauf und schloss die Tür zu einem der schnieke renovierten Gründerzeithäuser auf. Ein Transporter der Deutschen Paketpost hielt auf der Straße und stoppte den Autoverkehr. Der Bote trug ein Paket in ein Café Zuckerfee. Wirklich eine Zuckerbergecke, die Schwabenresidenz Prenzlberg. Ohnehin kam mir Berlin reichlich verträumt vor. Hier mussten die Linksabbieger an jeder Kreuzung erst den Gegenverkehr abwarten. Im eiligen Stuttgart hätte das zum Verkehrskollaps geführt.
Ich zählte langsam bis fünfzig. So viel Zeit kostete es Neuner schätzungsweise, in den zweiten Stock hinaufzulaufen, bei sich einzutreten, sich für den Feierabend locker zu machen und arglos zu werden. Dann klingelte ich.
»Ja?«, tönte die Gegensprechanlage.
»Paketpost!«, rief ich.
Er hatte das Jackett schon ausgezogen und schaute mir befremdet entgegen. »Ich habe nichts … oh!« Er hatte mich erkannt und versuchte die Tür zu schließen. Ich sprang die mir noch fehlenden drei Stufen hinauf und schlitterte mit dem Stiefel in die Tür, stieß sie auf und schubste ihn in die Wohnung.
»He!«, rief er.
»Lisa Nerz ist mein Name«, sagte ich. »Schwabenreporterin Lisa Nerz. Wir haben mal telefoniert. Inzwischen kennen Sie mich sicher von Fotos. Sie lassen uns ja seit Monaten ausspionieren. Widerspruch ist zwecklos. Wie würde es Ihnen gefallen, wenn ich das Ihrer Freundin Derya erzähle?«
Seine Brauen zuckten geringschätzig.
»So, das ist Ihnen egal. Interessant. Na ja, Derya vögelt ja auch mit dem Staatsanwalt. Haben Sie ihn deshalb in Misskredit schreiben lassen?«
»Hören Sie, Frau … äh … Nerz.«
»Ich höre.«
Die Altbauwohnung war verstuckt, aber zugleich mit Glas und Stahl ausgestattet, wie ich am Rand bemerkte.
»Ich weiß ja nicht, wer Ihnen da was erzählt hat«, sagte er. »Ich sehe nur, dass Sie sich fürchterlich aufregen, so wie Sie hier reinplatzen.«
Ich merkte, wie mein Aggressionspegel sank. Ich musste überlegen.
»Was wollen Sie denn von mir?«
Ich suchte nach meinem Standpunkt. »Die Zeitung, für die ich schreibe, hat mir gesagt, ich soll Sie mit dem Sachverhalt konfrontieren.«
Er lächelte. »Welche Zeitung ist das denn?«
»Sage ich Ihnen nicht. Sie sollten lieber nach dem Sachverhalt fragen. Oder kennen Sie den schon?«
»Sie gehen ja mächtig ran! Darf ich Ihnen was anbieten? Kaffee, einen Sekt?« Er wandte mir den Rücken zu – eine Geste der Furchtlosigkeit – und ging voran ins Wohnzimmer.
Wenn ich ihm folgte, hatte ich verloren. Denn dann hatte ich mich auf seine Vorgaben eingelassen. Also blieb ich im Flur. Da stand eine Kommode, auf ihr ein Festnetztelefon, ein iPhone im Aufladegerät und eine sinnlose chinesische Vase.
Ich gab der Vase einen Stoß. Sie kippte, fiel und zerschellte auf den Dielen.
Das brachte Neuner rasant zurück in den Flur. »Was tun Sie denn?«
»Entschuldigung«, sagte ich. »Eine schöne Kommode. Antik?« Ich riss mit mehr Kraft, als nötig gewesen wäre, eine Schublade raus und ließ sie auf den Boden fallen. Handschuhe, Schals, Schlüssel, eine Taschenlampe, Batterien und zwei Hanteln sprangen über den Boden. Die Schublade barst.
»He!«, schrie Ingmar. »Was soll das denn?«
»Ich möchte, dass Sie mir eine Antwort geben.«
»Ich beantworte Ihnen überhaupt keine Fragen.«
»Ich stelle auch keine Fragen. Ich will nur eine einzige Antwort.«
»Und ich hole jetzt die Polizei.«
»Tun Sie das.« Dabei fegte ich Telefon und Handy von der Kommode. Das Telefon zerschepperte in einer Flurecke. Das Handy schien weniger empfindlich.
Doch Ingmar beging den Fehler, mir in die Parade zu fahren. Als er meinen Arm packte und mich wegzog, trat ich an ihm vorbei und hakelte ihm den Fuß weg. Er fiel rückwärts. Es war ein sanfter Judowurf, der der Enge des Flurs Rechnung trug. Außerdem milderte ich seinen Fall, indem ich ihn zunächst am Handgelenk festhielt. Doch immerhin lag der Chef der Öffentlichkeitsarbeit des QarQ-Konzerns nun vor mir auf dem Boden.
»Was machen Sie denn für Sachen?«, sagte ich. »Warum so ein Aufstand? Ich will von Ihnen doch nur hören, dass Sie den Vorwurf weit von sich weisen, Sie hätten die Firma SC & D Anfang des Jahres, nach meinem Anruf bei Ihnen, beauftragt, mich und meine Gefährten
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