Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Ich bin ein Shinobi. Der Katzenjacob ist übrigens der Samurai. Der ist euch über.«
»Ich bin ihm begegnet«, sagte ich.
»Cool. Und … wie … wie ist er?«
»Er besitzt eine gigamäßige mentale Kraft. Das spürt man gleich.«
»Von ihm werden wir noch viel hören! Die werden sich alle umgucken. Das bisher war Pipifax. Die Show beginnt erst. Die Leute sind total bescheuert, dass sie Angst vor ihm haben. Er wird uns befreien. Wir sind Sklaven unserer Technik, der Autos, der Maschinen, der Computer. Wir sind total unfrei. Es wird Zeit, dass wir das begreifen.«
Das musste gerade er sagen. Der Widerspruch fiel ihm offenbar nicht auf.
»Man muss auch keine Angst haben. Er will niemandem schaden. Die Leute, die Angst haben, dass ihr Flugzeug abstürzt, weil er das will, die nehmen sich alle viel zu wichtig. Sie glauben, er stelle ihnen nach. Aber er trachtet niemandem nach dem Leben. Es sind wir selbst, die wir Opfer der Technik werden, der wir uns verschrieben haben. Man will schnell irgendwohin und nimmt das Flugzeug. Aber es sind Scheißziele, es ist unwichtig. Niemand zwingt uns, von hier nach dort zu hetzen. Es sind immer wir selbst.«
Er redete eine halbe Stunde so weiter. Nach seiner Überzeugung konnte nur Opfer von Katzenjacobs mentalen Fähigkeiten werden, wer daran glaubte, dass er Opfer werden konnte. Und zwar weil er sich zu wichtig nahm und weil er, statt bewusst zu leben, blind von einem Ort zum nächsten jettete. »Du weißt, was ein Vampir ist?«, erklärte er mir dann. »Im Mittelalter gab es das auch bei uns. Man hat sie Nachzehrer genannt. So einer ist im Grab nicht verwest und hat die Lebenden zu sich herabgezogen. Aber nur, wenn sie glaubten, dass er das kann. So ist das mit dem Katzenjacob auch.«
Ich bot Pio Janssen schließlich dreitausend Euro für Informationen über Arbeitsweise und Struktur von SC & D . Er zögerte kaum. »Ich will sowieso aussteigen. Das hat keine Zukunft mehr.«
Ich stellte mein Aufnahmegerät im Kugelschreiber an, und er legte alles offen.
Am Beispiel eines CDU -Spitzenkandidaten für eine Landtagswahl im hohen Norden erklärte er mir, wie so eine Kampagne ablief.
»Wir bekommen den Auftrag, jemanden zu durchleuchten. Seine Wohnung wird verwanzt, sein Auto bekommt einen Peilsender, wir knacken sein Handy, seinen Computer, lesen die Mails und so weiter. In diesem Fall hatten wir schnell raus, dass er eine Schülerin gefickt hat. Die Informationen gehen an den Auftraggeber zurück. In dem Fall an die Zeitung. Was dann passiert, ist nicht mehr unsere Sache. In dem Fall ist der Kandidat zurückgetreten.«
Die Auftraggeber waren meistens Zeitungen des Groschenkamp-Konzerns. Aber es gab auch andere. »In eurem Fall«, sagte er am Ende des Tages endlich, »kam der Auftrag von Ingmar Neuner, das ist …«
»… der Pressesprecher bei QarQ.«
»Es sollte verhindert werden, dass ihr die Verbindung zieht zwischen dem Konzern und den Kalteneck-Experimenten. Die schottischen Kollegen sollten euch behindern und euch ein bisschen Angst machen. Die Instrumente zeigen sozusagen.« Er lachte.
»Wir hätten sterben können dabei!«
Pio blickte verwundert. »Echt jetzt?«
»Dann gehörte Katzenjacob also von Anfang an QarQ, richtig?«
»Also ich glaube, in Wirklichkeit steckt eine Art Freimaurerloge dahinter.«
»Die Kuldeer?«
Er blinzelte. »Vielleicht nennen sie sich so. Sie sitzen in der Schweiz am Bodensee. Sie organisieren geheime Treffen mit den mächtigsten Politikern und mit Banken- und Wirtschaftsbossen. Dort wird entschieden, wo der nächste Krieg stattfindet und welcher Diktator verschwindet und welcher gehalten wird. So was alles.«
Ich musste noch lange zuhören und buchte es als Spinnerei ab.
Im Hotel Augustinenhof schrieb ich über Nacht die Aufzeichnung ab. Anderntags um zehn rief ich in der Redaktion der taz an, der einzigen Zeitung, von deren Unabhängigkeit ich überzeugt war. Man lud mich gleich zu einem Gespräch in das Haus mit dem Riesenpimmel an der Fassade ein. Mein Renommee als Schwabenreporterin Lisa Nerz reichte allerdings nicht als Ausweis für meine Fähigkeiten zu investigativem Journalismus. Ob ich Ingmar Neuner mit meinen Recherchen konfrontiert hätte. Das waren Gebote der journalistischen Sorgfalt und Redlichkeit, von denen ich keine Ahnung hatte.
Neuner ließ sich telefonisch verleugnen. Mit dem Bild des dicklichen Jungkarrieristen von der Internetseite im Kopf – übrigens fünfzehn Jahre jünger als Derya – wartete ich
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