Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
soll«, sagte Sally gehetzt. »Sechs Sechsen? Da stellen sich doch jetzt alle was anderes vor. Wie soll das denn gehen?«
Ich dachte gar nichts. Ich war perplex. Verarschte Richard uns gerade mit seiner tieferen Kenntnis vom Wesen der Wahrscheinlichkeit? Und warum tat er das? Er hatte doch gar kein Interesse daran, dass die Leute an mentale Kräfte glaubten. Oder doch?
Oma Scheible hatte ihre Äuglein auf die Mattscheibe geheftet und murmelte beschwörend vor sich hin.
Es war ein seltener Moment in der Geschichte der Talkshows: Die ganze Runde schwieg. Währenddessen streckte Richard langsam seine Faust mit den Würfeln in die Mitte aus und drehte sie so, dass sie zu Boden fallen mussten, wenn er die Finger öffnete. Fast entging mir der Moment, und ich bin sicher, auch für die andern kam es unmerklich. Auf einmal kullerten die Würfel über den Boden, die Kameras haschten nach Augen.
Sally zappelte auf dem Sofa. »Was ist nun, was ist? Mann!«
Es war der Fußballer, der aufstand und in die Hocke ging, um die Zahlen abzulesen. »Fünf, drei, vier, eins, zwei.«
» 1 , 2 , 3 , 4 , 5 «, sagte Richard.
»Scheeeeiiiiiße!«, rief Sally leidenschaftlich beeindruckt. »Das gibt’s doch nicht!«
Richard lächelte. »Ein in der Tat sehr schönes Bild.«
Anne Will lachte verblüfft. Strohbergs Miene war finster und etwas erschrocken, der Fußballer setzte sich wieder hin und bemühte sich, gar nichts zu denken. Innenminister Friedrich rieb sich das Kinn.
»Hm«, überlegte der Unternehmer, »jetzt müsste man wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für so eine Reihe ist.«
»Sie liegt bei 1,5 Prozent«, antwortete Richard. »Aber das ist nicht wichtig. Psi ist das nicht zufällige Zusammentreffen unseres Willens mit dem statistischen Ausreißer eines Zufallsgenerators. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Ah«, machte Sally. »Wie meint er das jetzt?«
Während Richard der Runde geduldig erklärte, dass es sich bei Psi nicht um eine Kraft oder Macht handelte, sondern darum, dass sich Elemente eines Systems, dessen Teil der menschliche Geist war, in einem winzigen Moment ihres Daseins synchron verhielten, versuchte ich, dasselbe Sally und Oma Scheible zu erklären.
Richard wandte sich schließlich an Strohberg und sagte: »Ich habe gehofft, Sie davon überzeugen zu können, dass die Taten, die Sie Herrn Katzenjacob unterstellen, in der Form nicht möglich sind. Wobei ich nicht in Abrede stellen will, dass es Phänomene gibt, die wir mit der klassischen Physik nicht erklären können.«
»Sie haben doch die Würfel manipuliert!«, antwortete Strohberg. »Sie führen uns permanent an der Nase herum. Sie manipulieren und betrügen! Ihnen kann man nichts glauben. Nur weil ich Katzenjacob für gefährlich halte, heißt das noch lange nicht, dass ich jeden Zaubertrick für Psi halte.«
Die Moderatorin machte einen energischen Versuch, die Gesprächsführung zurückzuerobern, und brachte den Fall Schleyer ins Spiel. »Damals hat ein niederländischer Hellseher den Ort gesehen, wo Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer 1977 von der RAF gefangen gehalten wurde. Leider hat ihm die Polizei offenbar nicht geglaubt.«
Sie schaute den Innenminister an. Der schaute zum Staatsanwalt hinüber. Richard nickte. Und weil offenbar niemand reden wollte, sagte er: »Ja, es liegt zumindest eine Akte darüber im IGPP -Archiv, also dem Archiv des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg. Hans Bender hat zwei Sonderermittlern, die vermutlich eigenmächtig gehandelt haben, damals den Kontakt gemacht. Bender hielt den Niederländer für einen der besten Hellseher. Er konnte Personen und Gegenstände finden, allerdings war er erfolgreicher in spielerischen Situationen. Bei Mord und Verbrechen versagte er meist. Bender notierte damals, es habe für die Polizisten detaillierte und zentrale Erkenntnisse gegeben, aber er hat nicht notiert, welche. Die Polizei observierte später ein bestimmtes Wohngebiet in Köln, möglicherweise aufgrund der Angaben dieses Hellsehers. Aber auch das ist nicht belegt. Es ist einer der vielen Fälle, bei denen sich die Wahrheit hinter der mächtigen Legende nicht mehr rekonstruieren lässt.«
»Man hat immerhin aufgrund der Aussagen des Hellsehers das Auto gefunden, mit dem Schleyer entführt wurde!«, rief Strohberg empört. »Ich finde es langsam unerträglich, wie Sie uns hier belügen. Und ich wiederhole … nein, jetzt lassen Sie mich ausreden, Sie hatten Ihre Show,
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