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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Herr Weber, alle haben Ihnen zugehört, jetzt hören Sie mir zu. Ich wiederhole meinen Vorschlag: Lasst ihn uns aus unserer Mitte entfernen. Lasst ihn uns auf eine unbewohnte Insel bringen. Dort mag sein Geist zur Ruhe kommen. Dort mag er sich auf sich selbst besinnen, statt sich mit der Störung von Flugzeugen und Atomkraftwerken zu beschäftigen. Dort wäre er von jeglicher Information über unsere Welt abgeschnitten. Er könnte unsere Gehirne nicht mehr anzapfen.«
    »Telepathie ist etwas anderes als Telekinese«, bemerkte Richard freundlich. »Und soweit ich informiert bin, spielen Entfernungen grundsätzlich keine Rolle.«
    Daraufhin unterbrach die Moderatorin mit der Bemerkung, jetzt werde es zu fachspezifisch, und ließ das Publikum befragen.
    Eine Frau weinte: »Meine Kinder haben nachts Alpträume. Sie trauen sich nicht einmal mehr Roller zu fahren. Wir fühlen uns unseres Lebens nicht mehr sicher. Nennen Sie das ein würdiges Leben? Muss ich mir denn über die Menschenwürde eines perversen Leichenschänders wirklich Gedanken machen? Muss der Rechtsstaat einen Teufel schützen?«
    Es ist kompliziert, und daran scheitern wir.

54
    Noch während der Talkshow klingelte mein Handy. Unbekannte Nummer. »Haben Sie übersinnliche Fähigkeiten, Frau Nerz? Wie viel haben Sie im Lotto damit gewonnen? Sind Sie bereit, dies unseren Zuschauern live in einem Test zu beweisen?«
    »Nein«, sagte ich und drückte ihn weg.
    Es riefen noch einige andere an, aber ich nahm nicht ab. Am Montagmorgen standen drei Männer mit Kamerataschen, ein Fernsehteam und ein Kleinbus mit Satellitenschüssel vor meiner Tür in der Neckarstraße.
    Ich verließ das Haus mit dem Nötigsten zum Überleben – Laptop, Spionageausrüstung und ein paar Klamotten im Rucksack – durch die Küche von Matuscheks und den Hinterhof Richtung Werrastraße und kroch mit Cipión bei Sally in der Urbanstraße unter.
    Ein guter Zeitpunkt für eine Reise nach Berlin. Sally konnte Cipión für ein paar Tage nehmen, und ich setzte mich in den Zug. In Berlin nahm ich per LinkedIn Kontakt mit Pio Janssen auf.
    Er wohnte in der Auguststraße, wo die Fußwege aus alten DDR -Betonplatten waren, im vierten Stock eines renovierten Altbaus mit Lift, saß im Rollstuhl und verließ nie das Haus. Eine Multiple Sklerose, erklärte er mir. Er hatte sich und sein Leben hinter Bildschirmen in einem Zimmer verschanzt, dessen Fenster nach hinten hinausging, und hackte für das Büro SC & D im weltweiten Netz Informationen zusammen. Mich kannte er sehr gut. Er hatte Wagners Schutzwälle für meine Systeme ausgetrickst und besaß derzeit mehr als ich, nämlich meine gesamte Kommunikation und alle Berichte, die ich auf dem Laptop gespeichert hatte, der mir nach der Notlandung in Schottland abhandengekommen war.
    »Wenn du die Daten wiederhaben willst«, bot er an, »schick ich dir den Link.«
    Seit Mai war mein Handy für ihn allerdings nicht mehr zu orten gewesen. Dafür konnte er mir sagen, dass ich am Sonntag die Talkshow geguckt hatte, denn über den intelligenten Stromzähler der En BW , die unser Vermieter uns hatte einbauen lassen, damit wir unseren Stromverbrauch kontrollierten, konnte er ablesen, ob wir energieintensive Programme wie Actionfilme oder eher statische wie eine Talkshow sahen. Dazu hatte er mein Passwort für den Internetabruf meiner Daten umgangen.
    »Warum interessierst du dich eigentlich für mich?«, erkundigte ich mich.
    »Ich nicht! Nicht persönlich. Es ist ein Auftrag.«
    »Von wem?«
    Pio blinzelte. »Das kann ich dir nicht sagen.«
    »Erst Richard Weber, jetzt ich! Ist es nicht so?«
    »Dieser Staatsanwalt Weber ist ziemlich cool. Der reißt was!«
    Ich versuchte es anders. »Warum hast du in der New York Times diesen Tweet gepostet, dass das Internet zusammenbricht?«
    »Es ist zusammengebrochen!«, grinste er. »Und die Erdbebenpanik war fett. Zeigt wieder, die Leute hängen an ihrem Scheißleben!«
    »Warum hast du dir ausgerechnet diesen Tag ausgesucht?«
    »Wer sagt eigentlich, dass ich das war?« Pios Gesicht gehörte zu denen, die nichts verbergen konnten. Sein Mund wollte schweigen, seine Augen waren stolz wie Oskar.
    »Die E -Mail von Héctor war genial«, lobte ich ihn ein bisschen. »Wir sind voll drauf reingefallen. Aber eins kapier ich nicht. Wozu?«
    »Chaos schaffen, Verwirrung stiften. Die Welt ist zu ordentlich.«
    »Woher wusstest du, dass wir dort waren?«
    Er grinste seine Bildschirme an. »Infos mögen mich. Sie kommen zu mir.

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