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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Post direkt aus meinem Briefkasten in die Papiertonne warf.
    Aber das war nicht der Punkt. Richard drehte seinen Umschlag um und sagte: »Es ist keine Briefmarke darauf, wie du siehst. Die Einladungen werden per Boten zugestellt. Du bekommst deine demnächst. Ich habe Reto Federer den Hinweis gegeben, dass du dem Boten die Tür öffnen wirst, wenn er zweimal kurz, einmal lang und dann wieder kurz klingelt.«
    Ich atmete aus. Es wurde langsam Zeit, dass ich das Nerz’sche Minderwertigkeits-Protest-Geschrei aufgab. »Und was sollen wir dort?«
    »Berichten«, antwortete Richard.
    »Wie, berichten?«
    »Wie wir das machen, wird uns nicht vorgeschrieben. Alle Diskussionen sind offen. Wir haben am Samstagvormittag anderthalb Stunden Zeit, die wir gestalten können, wie wir wollen. Und ich denke, zu erzählen hast du genug.«
    »Ich? Nee!«
    Meisner grinste. »Dass ich das noch erlebte. Lisa Nerz lässt sich einschüchtern. Tja, Staatsmänner sind eben doch was anderes als Staatsanwälte, gell?«
    Ich fand das gar nicht komisch. Und selbstverständlich war ich zu stolz, auch nur zu erwägen, Richard bei der Ausgestaltung meines Vortrags um Hilfe zu bitten. Ich erkundigte mich stattdessen bei Karin Becker im Archiv des Stuttgarter Anzeigers . Sie wusste, dass Präsentationen vor gemischtem Publikum nie länger als eine halbe Stunde dauern durften. Oberstes Limit. Es sollte doch eine Diskussion entstehen.
    Worüber wollen die diskutieren?, fragte ich mich seitdem.

57
    Finley McPierson meldete sich aus den USA und sagte zu, in Stuttgart zu sein, wenn wir nach Neuschwanstein fuhren. Und es klingelte zweimal kurz, dann lang und wieder kurz an meiner Tür, und ein junger Mann übergab mir von Angesicht zu Angesicht die Einladung zur Wartegg-Konferenz. Ich begab mich in Klausur, um meinen Vortrag auszuarbeiten. War auch besser so, denn in der Parallelwelt war ich zur Jagd freigegeben. Weil ich mich weigerte, mit der von ihnen geschaffenen Existenz identisch zu werden, rächten sie sich mit übler Nachrede.
    »Ist sie die heimliche Geliebte von Katzenjacob?«, fragten die einschlägigen Blätter unter einem Foto von mir im Anzug mit Schlips und Kippe im Mundwinkel, das bei einer Feier des Frauencafés Sarah vor zwei Jahren geschossen worden sein musste. Herausgezoomt meine Fratze mit Narben und einem tückischen Blick aus den Augenwinkeln. Vermutlich war ich im Begriff gewesen, die Fotografin zu erschlagen. »Nutzt sie skrupellos ihre privaten Beziehungen zur Staatsanwaltschaft aus, um Informationen an Katzenjacobs Verteidiger weiterzugeben?« Oder: »Nerz ist kein unbeschriebenes Blatt. In den neunziger Jahren arbeitete sie für das Emanzenblatt Amazone . Damals kamen die renommierte Feministin Louise Peters und eine Redakteurin des Lesbenkampfblatts auf nie ganz geklärte Weise ums Leben. Ihr Vermögen hat die bekennende Lesbe von ihrem Ehemann geerbt, einem Reutlinger Industriellen, der unter bis heute ebenfalls ungeklärten Umständen bei einem Autounfall das Leben verlor. Fuhr Lisa Nerz damals den Wagen gegen einen Baum? Sie selbst ist seitdem durch Narben entstellt.«
    Na! Sie hätten sich ruhig mal entscheiden können, ob ich mein Vermögen nun per Lotto-Manipulation gewonnen oder geerbt hatte und ob ich Juris Gegnerin war oder seine Geliebte. Aber so war eben für jeden was dabei. Auch die Frage, ob ich Rosenfeld nicht nur fotografiert, sondern auch ermordet hatte, wurde immer wieder gestellt.
    Denen geht es nicht um mich, schärfte ich mir täglich ein. Es geht nur um eine Story, die sich gut verkauft. Das hatte Richard gesagt, als es ihn und Meisner traf. Und bitte sehr, er war immer noch Staatsanwalt.
    Die Medien und die Wirklichkeit sind einfach zwei Welten mit nur sehr kleiner Schnittmenge. Ganz einfach und höchst komplex. Was die schreiben, senden und sagen, hat nichts mit meinem Leben auf dem Asphalt zu tun. Im Bioladen wird die Bedienung nie einen Zahn zulegen. Das ist auch eine Welt für sich, eine schlurfende, langsame. Und mein Tabakverkäufer liest die Zeitungen nicht, die er verkauft. »Steht doch nichts drin, was mich was angeht. Nur Tote und Katastrophen und Schuldenkrise.«
    Oma Scheible hörte auch nicht auf, mir das Essen zu bringen. Entrüstet jetzt. »Sie send doch gar net lesbisch, des wüsst i! Und dass die jetzt anfanget, dem Katzenjacob zuzuschreibe, er wär für das Erdbebe in Japan verantwortlich, des isch der Gipfel! Als ob oiner alloi so ebbes könnt. Des isch doch auch reschpektlos dene Tote

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