Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
gege’über. Dass die sich net schämet!«
58
Ich verkleidete mich bürgerlich mit Rock, Bluse und Blazer, damit man mich nicht gleich erkannte, und begab mich zu unserem Treffpunkt am Karlsplatz, wo auf dem Busparkstreifen Kittys schwarzer Kleinbus mit dem lila Schriftzug »Haunt Hunter’s Agency« stand. Am Lenker saß einer ihrer Mitarbeiter.
»Oh«, bemerkte Finley amüsiert. »The greengrocer’s apostroph!«
»Bitte?«, fragte ich.
Er deutete auf den Schriftzug. »Der falsche Genitiv. Unsere pakistanischen und indischen Gemüsehändler schreiben gern mal tomato’s. Die Hunters sind doch hier wohl Plural. Jäger …« Er lachte. »Klingt im Deutschen gleich wie der Singular. Also müsste es Haunt Hunters’«, er malte ein Apostroph in die Luft, »Agency heißen.«
»Nein!«, sagte Kitty. »Das glaube ich nicht. Wir haben extra jemanden gefragt.«
Vermutlich einen Greengrocer oder den von Micha’s Lädle.
Richard kam direkt vom Gericht mit dem Talar überm Arm und weißer Krawatte. Meisner hatte sich den Tag freigenommen und mit Anorak und festem Schuhwerk ausgestattet. Der Leitende Oberstaatsanwalt Krautter trug einen dunklen Anzug und schlechte Laune. Nadja Locher war wegen ihres fatalen Auftritts nach dem Haftprüfungstermin von der Presseabteilung in die Abteilung für Drogendelikte versetzt worden und um rund fünf Kilo vollbusiger geworden. Roswita Kallweit war aufgeregt wie ein Schulmädchen. Das Medium Janette drückte mir mit ernster Miene die Hand und sagte: »Gott wird es Ihnen danken! Sie erweisen der Menschheit einen großen Dienst.«
»Warten wir’s ab«, antwortete ich mit unangenehmen Noppen auf der Haut.
Bei durchwachsenem Wetter rollten wir um Viertel nach eins auf die A8 Richtung Füssen im Allgäu. Finley war vergnügt und erzählte Schnurren aus seinem Leben. Kittys blonde Energie und Rechthaberei hatten es ihm angetan. Er kam gerade aus Kalifornien, wo ein Hypnotiseur sein Unwesen trieb.
»Er behauptet, er könne die geistige und körperliche Stärke eines Menschen durch Hypnose in Sekundenschnelle erhöhen.«
Kitty nickte. »Das habe ich auch schon erlebt. Das ist phänomenal! Unsere geistigen Kräfte sind unerschöpflich.«
»Aber ja«, feixte Finley, »und zwar die aller. Und sofort! Es ist erstaunlich.« Er schaute sich um. »Damit Sie alle wissen, wie das geht: Der Hypnotiseur setzt eine Frau aus dem Publikum – angeblich eine Freiwillige – unter Hypnose und befielt ihr, stark zu sein wie Eisen. Dann legt er sie über zwei Stühle, so dass ihre Körpermitte ohne Stütze ist.«
Das hatten wir alle auf die eine oder andere Weise schon gesehen.
»Und nun lässt er ein paar Jugendliche über sie hinweglaufen und behauptet, dies sei nur mit Hypnose möglich, nur sie verleihe der Frau die nötige Stärke.«
»Ja, natürlich«, sagte Kitty. »Das ist wirklich so. Man glaubt es kaum, wenn man das sieht!«
»Da haben Sie recht, Kitty«, sagte Finley. »In der Tat, man glaubt nicht so recht, was man da sieht, don’t you? Deshalb bin ich aufgestanden und habe den Hypnotiseur um die Gelegenheit gebeten, meine Kräfte mit seinen zu messen. Er wollte das natürlich nicht, aber das Publikum hat es für einen Teil der Show gehalten und erwartet, etwas Spektakuläres zu sehen zu bekommen. Ich habe eine andere Person aus dem Publikum geholt. Die Frau, die ich zuerst gefragt habe, wollte nicht, aber ein nicht eben starker Mann, der erklärte sich bereit, sich über die Stühle zu legen. Im Gegensatz zu dem Hypnotiseur habe ich auf den ganzen pseudohypnotischen Hokuspokus verzichtet. Der junge Mann hat sich über die Stühle gelegt, ich habe dieselben jungen Leute auf seinen Bauch steigen lassen. Und was glauben Sie, Kitty, was ist passiert?«
Das war keine Frage, auf die er wirklich eine Antwort erwartete. Ihm genügte es, in Kittys Augen Unsicherheit zu erkennen.
»Brach der Mann unter dem Gewicht zusammen? Nein. Er fühlte sich sogar recht wohl. Und er war erstaunt, wie wenig Kraft nötig ist, um in dieser Lage einen andern Menschen zu tragen. Es ist nur etwas Selbstvertrauen nötig. Es ist ein uralter Trick, der mit Hypnose nicht das Geringste zu tun hat. Natürlich stellte sich dann noch heraus, dass der Hypnotiseur die Freiwillige aus dem Publikum vorher angeheuert hatte. Sie war eine Schauspielerin. Und solche Vögel quacksalbern über Jahre an Menschen herum, die mit einer Krankheit zu ihnen kommen!«
»Aber«, wehrte sich Kitty tapfer, »ich kenne
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