Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Das könnte das Ziel der Inszenierung gewesen sein.«
»Very sophisticated. Ihr habt sehr schlaue Mörder hier in Deutschland. Eure Malergesellen kennen sich gut aus mit dem Strafgesetz. Und sie sind wahre Illusionskünstler. Bei uns gehen sie einfacher zu Werke.«
»Bei uns auch«, sagte ich.
»Und wenn es nicht das Ziel der Inszenierung war«, fragte er mit Sherlock-Glitzern hinter der Brille, »sondern nur ein Nebeneffekt?« Er lachte. »Aha, ich sehe euch sprachlos. Sorry, ich wollte mich hier nicht schlauer machen als die Polizei. Ich halte große Stücke auf die Polizei.«
»Egal, welchen Zweck die Inszenierung hatte«, bemerkte ich, »die Frage bleibt, wie Katzenjacob aus dem Raum herausgekommen ist.«
»Da gibt es vermutlich eine ganz einfache Erklärung. Ich schaue mir die Örtlichkeit morgen einmal an. Das hätte ich längst tun sollen, aber es hat mich ja keiner darum gebeten.«
59
Ich schlief die halbe Nacht nicht. Eine Panikattacke nach der andern walzte mich ins Bett. Geister rumorten mir durch den Leib. Das innere Grollen schrieb ich dem sauerkrauthaltigen Essen in Neuschwanstein zu, das wir in einem Lokal verschlungen hatten, bevor wir heimfuhren. Mein Elend aber hatte andere Ursachen. Ich gehörte nicht mehr mir. Ich gehörte jedem. Jeder konnte mich ansprechen, mich beschimpfen, etwas von mir verlangen, mich in irgendeine Pflicht nehmen. »Tun Sie endlich was! Erlösen Sie uns! Geben Sie mir Geld. Verbrennen Sie!«
Was hatte Richard mir angetan! Aber hatte er das vorhersehen können? Und warum hatte ich den Staatsanwälten von meinem Zahlenspiel mit dem Lottoapparat überhaupt erzählt? Ich kann was, was ihr nicht könnt! Lisa Nerz kindisch. Und jetzt: Lisa Nerz verängstigt. Lisa Nerz wütend! Stress und Depression. So stirbt es sich soziokulturell. Dagegen ist eine auf mich gerichtete Pistole ein Dreck. Eine ehrliche Sache. Peng und Schluss.
Aber das hier? Ich verstehe es nicht einmal. Auch Richards Verhalten nicht. Mitleidlos und kaltschultrig hatte er mich an unsere Kohlrabi-Vereinbarung erinnert, als ich in einer Pinkelpause auf der Autobahn Trost und Nähe suchte. »Warum nennst du mich dann im Fernsehen deine Freundin?«, keifte ich. »Ist das die Weber’sche Kriegsführung? Mich der öffentlichen Rufmordlust ausliefern, weil du es alleine nicht schaffst?«
Für einen Moment hatte er maßlos erschrocken ausgesehen, doch dann hatte er dichtgemacht, sich zu Nadja Locher gewendet und sie gefragt, wie es ihr in der neuen Abteilung gefiel.
Ich hatte ihn verloren. Panik! Alles entzieht sich mir.
Gegen Morgen gelang es mir, die Angst mit dem Gedanken flachzuprügeln, dass mir jetzt nur noch einer helfen konnte, der sich mit der menschlichen Kriegslust auskannte. Ich schrieb eine Mail an einen Mann, den ich vor Jahren einmal für die Sonntagsbeilage als Coach für große Betriebe interviewt hatte und dessen Namen ich hier nicht nennen werde. Er antwortete morgens um sechs und bot mir einen Termin gleich für den Nachmittag an.
Daraufhin schlief ich zwei Stunden, dann klingelte mein Handy. Es war aber niemand dran. Kein Spuk, sondern der Telefonwecker. Für neun hatte Richard sich mit Finley in Holzgerlingen verabredet.
Auf dem Autobahnsystem rund um Stuttgart herrschte gigantischer Stau. Ich hatte Zeit, mehrmals Nachrichten zu hören.
Mein Sender meldete: »Holzgerlingen: Der im Zusammenhang mit dem Tod des Parapsychologen Rosenfeld verhaftete Malergeselle Katzenjacob hat offenbar doch übersinnliche Fähigkeiten. Nach Informationen der Berliner Zeitung Guter Tag wurden im Institut für Grenzwissenschaften und Parapsychologie im Sommer vergangenen Jahres Telekinese-Versuche gemacht, die Katzenjacob erfolgreich bestanden habe. Die Zeitung beruft sich auf einen Testbericht aus dem Institut, der ihr vorliege. Wie Institutsleiterin Barzani dem Blatt bestätigte, wurden die Tests abgebrochen, als Katzenjacob Tötungsfantasien offenbarte. Man habe Strafanzeige gestellt. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft habe es jedoch abgelehnt zu ermitteln.«
Schluck!
Ich suchte einen Privatsender und hörte um neun auf Höhe Böblingen die simple Variante ohne Quellenangabe: »Juri Katzenjacob kann offenbar per Geisteskraft töten. Das hat das Institut für Geisterforschung in Holzgerlingen festgestellt. Demnach seien Tests mit ihm abgebrochen und Strafanzeige gegen ihn gestellt worden. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft habe aber keinen Grund gesehen zu ermitteln. Nun werden in Berlin Befürchtungen
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