Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Finley hob sie hoch. Darunter Holz. »Hat die Polizei sicher auch schon alles angeguckt, ich weiß«, sagte er. »Aber schau mal.« Er stampfte mit dem Fuß auf. An der Wand klang es anders. Er versuchte, seine langen Finger zwischen Wand und Boden einzuhaken. Und plötzlich hoben sich die Dielen am Stück. Sie waren auf einen Rahmen genagelt.
»Da haben wir den Geheimgang.«
Vor unseren Füßen öffnete sich ein Schacht, an dessen einer Wand Tritte aus Eisenkrampen in die Tiefe führten. Cipión wünschte sich einen Rüssel, um hineinschnuppern zu können, ohne an die Kante treten zu müssen.
Der Schachtboden war im Licht von Finleys Taschenlampe gut erkennbar. Er musste auf Ebene des unteren Stockwerks liegen. Und es fehlte die Wand zu Rosenfelds Büro. Der Schacht reichte hinüber bis unter den Einbauschrank.
Finley rannte zurück, räumte den Boden des Wandschranks aus und tastete leise vor sich hin fluchend das Brett ab. Er versuchte an verschiedenen Stellen die Fingernägel einzuhaken. »Farbe!«, fluchte er und klappte ein Messer auf. »Aber was für ein Pfusch! Die Seitenwände sind auch beschmiert! Ha!«
Mit kleinen Knacksern löste sich das Brett aus dem Rahmen. Es war vor allem an den Rändern dick eingepinselt worden. Auf der Unterseite war ein Schubladengriff angeschraubt, der ziemlich frisch aussah.
»Der Betrüger ist entlarvt!«, rief Finley.
Sein Geschrei lockte die anderen herbei. Richard sah ehrlich beeindruckt aus. »Warum hat die Polizei das nicht entdeckt?«
»Weil die Nahtstellen mit Farbe verklebt waren. Man musste annehmen, dass diese Platte nach dem Anstrich niemand mehr angehoben hat.«
»Ja, aber …«, sagte Derya.
»Katzenjacob hat alles zugemalt und insbesondere die Ränder der Bodenplatte, bevor er in den Schacht gestiegen ist und die Platte von unten in den Rahmen gezogen hat. Es gibt kaum Schleifspuren. Sehr raffiniert … sehr gut überlegt. Das muss ich schon sagen. Der Knabe hat Talent.«
»Na!«, sagte Richard streng. Er mochte unsere Neigung nicht, Kriminelle für ihren Einfallsreichtum zu bewundern, vor allem, wenn dabei jemand ums Leben gekommen war.
Ich schnüffelte gleichzeitig meiner Erinnerung dem Farbgeruch nach, der mir beim ersten Eintritt ins Institut aufgefallen war. Hier oben war dann der Geruch nach Eisen und Tod stärker gewesen.
»Ich habe mich gleich gefragt«, redete Finley weiter, »wieso in dieser Ecke hinter der Tür ein Wandschrank ist. Ein komischer Platz. Es muss vorher etwas anderes dort gewesen sein. Ich glaube, es war der Schacht für den Essensaufzug. Küchen sind in solchen alten Burgen immer unten, aber die Herrschaften wollten oben in ihren Räumen speisen.«
»Die Küche liegt dort«, sagte Derya und deutete auf den Boden in Richtung ihres Büros.
»Also im Querhaus«, stellte Finley fest. »Damit ist der Schacht genau an der Nahtstelle, nicht wahr? Irgendwann hat man den Fahrstuhl nicht mehr gebraucht und einen Einbauschrank an seine Stelle gesetzt. Das Wissen um den Schacht ging verloren. Erst Katzenjacob hat ihn wiederentdeckt. Es muss unten in der Küche den Ausstieg oder Einstieg geben. Das schaue ich mir nachher an.«
»Er hat ihn entdeckt, als er vor zwei Jahren im Zuge der Renovierung Malerarbeiten ausgeführt hat«, sagte ich. »Vermutlich auch am Einbauschrank. Er hat dieselbe Farbe wie die Türen.«
»Und er hat den Griff besorgt und angeschraubt, damit man die Bodenplatte von unten leichter manövrieren kann«, ergänzte Finley, hob die Hand und forderte mich zum sportlichen High-Five auf.
»Unfassbar!«, stieß Derya hervor. »Wozu hat er das getan?«
»Vielleicht, um hier ein und aus gehen zu können«, schlug ich vor. »Vielleicht mag er es, wenn es für ihn keine Schranken gibt.«
Richard griff nach dem Handy im Jackett und sagte: »Dann sollten wir hier nichts mehr anfassen. Am besten, wir verschließen den Raum. Und die KT muss her. Wenn deine Theorie stimmt, Finley, dann müssen sich Fingerspuren von Katzenjacob auf der Platte und im Schacht befinden. Er wird kaum Handschuhe getragen haben, als er den Schacht entdeckte.«
»Kaum«, bestätigte Finley, während wir ins Foyer traten. Er grinste Richards Rücken an, der ein paar Schritte weiter Richtung Deryas Büro gegangen war, und zwinkerte mir dann zu. »Da lösen wir ihm den Fall, und was tut er? Anordnen und telefonieren. Very German, indeed.«
»Du täuschst dich«, grinste ich zurück. »Er freut sich unbändig. Sonst hätte er ›Unsinn‹ oder
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