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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Stau«, erklärte sie mir. »Es hatte gerade angefangen zu schneien, alles rund um Stuttgart stand. Als mir klar wurde, dass ich den Flughafen nicht mehr rechtzeitig erreichen würde, bin ich direkt zum Bahnhof gefahren und habe den Zug nach Berlin genommen. Die Polizei hat das alles überprüft. Zum Glück hatte ich die Fahrkarte noch.«
    »Sorry, musste sein.«
    Wieder ging ihr Blick zu Richard. »Ihr seid schon ein seltsames Paar«, bemerkte sie. »Manchmal habe ich den Eindruck, ihr würdet sogar eure Mütter der Polizei ausliefern, wenn …«
    Richard stand abrupt auf, murmelte »Entschuldigt« und eilte, sich die kalte Zigarette in den Mund steckend, hinaus.
    »Was hat er denn?«
    »Er hat einmal komplett die Nerven verloren, als die Polizei seine Mutter unter Mordverdacht festnahm. Er war drauf und dran, den Beamten zu erschlagen.«
    Finley lachte.
    »Oh!«, sagte Derya und strich sich eine schwarze Strähne hinters Ohr. »Dann wird er sicher auch verstehen, dass ich die Sache mit meinem Vater nicht auf sich beruhen lassen kann. Ich bin felsenfest überzeugt, dass er mit Rosenfelds Tod nichts zu tun hat. Er war zwar kein Heiliger, weiß Gott nicht, aber er war kein Mörder. Er hat die Dinge mit Geld geregelt, er hat immer gesagt: Geld ist das wirkungsvollste Mittel überhaupt. Jeder nimmt es, und niemand muss Gewalt anwenden. Mein Vater hielt Gewalt für das Überflüssigste auf der Welt. Wer satt ist und Arbeit und Haus und Familie hat, feuert keine Raketen, hat er immer gesagt. Wenn das hier vorbei ist, werde ich gerichtlich vorgehen und eine Untersuchung erzwingen, die seine Unschuld beweist. Das bin ich meinem Vater schuldig.«
    Nun ja, Verwandte waren immer von der Unschuld eines kürzlich verstorbenen Familienmitglieds überzeugt, vor allem, wenn das Verhältnis zu Lebzeiten nicht unbedingt reibungslos gewesen war.
    »Wie kommt ihr eigentlich darauf, dass Deryas Vater es gewesen sein soll?«, fragte Finley.
    Er kannte Juris Aussage noch nicht. Ich berichtete ihm.
    »Aber das geht doch gar nicht«, sagte er überrascht.
    »Was geht nicht?«
    »So wie Juri es schildert. Demnach stand Deryas Vater nicht im Büro, sondern in der Tür oder sogar davor, nicht wahr? Und Gabriel lag leblos auf dem Rücken in seinem Büro. Wie genau lag er? Nehmen wir an, Groschenkamp hat im Streit nach der Schere gegriffen, die auf Desirées Schreibtisch lag oder in einem Köcher steckte, und zugestochen. Was passiert, wenn man jemanden ins Herz trifft?«
    »Die Person steht ein paar Sekunden, ist erstaunt, dann kippt sie um, verliert das Bewusstsein und stirbt. Und nichts kann sie retten.«
    Derya schüttelte sich.
    »Dann müsste Gabriel mit den Füßen noch in der Tür oder aber sehr dicht dahinter gelegen haben. Juri kam, sah Deryas Vater mit der Schere in der Hand und unseren Gabriel auf dem Rücken längs ins Büro gefallen. Nach seiner eigenen Aussage ging er hinein und stellte fest, dass Gabriel ins Herz getroffen war. Und jetzt kommt’s: Er behauptet, Groschenkamp habe rasch die Tür zugezogen und von außen abgeschlossen.«
    Mir ging ein ungutes Licht auf. »Oje!«
    »Ja!«, sagte Finley. »Die Tür geht, wie wir alle wissen, nach innen auf und wird bis zum Wandschrank zurückgeschlagen. Ein Bürotürschlüssel steckt gewöhnlich innen. Damit haben wir das erste Problem: Wie ist es Groschenkamp so schnell gelungen, ums Türblatt herum zu greifen und den Schlüssel abzuziehen? Er hätte ins Zimmer treten müssen, und ein junger Mann wie Juri hätte gut Zeit gehabt, aufzuspringen und einzugreifen oder den Raum zu verlassen. Und das zweite Problem: Wie hat er die Tür zuziehen können? Gabriels Beine waren im Weg. Deryas Vater, ein alter asthmatischer Mann, hätte viel Schwung und Kraft aufwenden müssen, um mit dem Türblatt den Körper auf dem Boden beiseitezuschieben, und Juri hätte wiederum Zeit genug gehabt zu verhindern, dass er eingeschlossen wird.«
    Und der Rechtsmediziner hätte an Rosenfelds Bein die Marke einer Türkante erkennen müssen. Asche auf mein Haupt! Ich war meinem Wunsch und der Suggestivkraft von Juris mürrischer Geschwätzigkeit erlegen. Aber nicht nur ich.
    »Ich kann dir also jetzt schon sagen, Derya«, lächelte Finley, »die Behauptung, dein Vater habe Juri dort eingeschlossen, wird einer Überprüfung nicht standhalten.«
    »Und was heißt das nun?«, fragte sie.
    Finley zuckte mit seinen knochigen Schultern.
    »Das heißt«, antwortete ich, »Juri hat mir eine falsche Geschichte

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