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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Lichtgeschwindigkeit.«
    »Hier!«, rief ich.
    Richard riss den Wagen auf die Abfahrt Böblingen Hulb, Richtung Holzgerlingen. Die Reifen quietschen. Es war sehr knapp, die Abfahrt hatte nur eine Spur.
    »Himmel!«
    »Also kann man sagen«, fuhr er ungerührt fort, »die gemeinsame Herkunft der beiden Photonen macht sie zu einem verschworenen Paar. In der Quantenphysik ist das bekannt, es ist ein völlig normaler Zustand.«
    »Und wenn wir es auf unsere Welt beziehen, wird Spuk daraus«, vollendete ich. »Telekinese, Telepathie …«
    »Oder Spuk ist genau das. Eine Quantenverschwörung. Das ist jedenfalls die These, die Rosenfeld vertreten hat.«
    Darum also war sich Richard seit neuestem nicht mehr sicher, ob nicht doch was dran war an diesen Geschichten.
    »Und er lässt sich deshalb kaum beobachten.«
    »Jaja, die Elusivität des Spuks!«
    Richard warf mir einen Seitenblick zu. »Genau. Rosenfeld bezieht sich da auf das Doppelspaltexperiment.«
    »Ich habe auf Fremdsprachensekretöse gelernt, nicht auf Physikerin.«
    »Man schießt ein einziges Photon auf zwei eng beieinanderliegende Ritzen in einer Platte. Dahinter zeigen sich Interferenzstreifen, so als ob das eine Photon sich in zwei Lichtwellen aufgeteilt hätte. Will man aber messen, durch welchen Spalt dieses einzige Photon geflogen ist, so verschwinden die Interferenzstreifen. Man sieht nichts mehr.«
    Es war dunkel auf dem Land. Die Landstraße zog sich.
    »Und daraus hat Rosenfeld geschlossen, dass man einen Spuk nicht mit der Kamera beobachten kann?«, fragte ich.
    »So ist es. Der Beobachter verhindert das Ereignis, das er beobachten will.«
    Ein bisschen billig kam es mir schon vor. Aber die übliche Stadtrandindustrie strahlte uns da schon entgegen, und ich hielt die Klappe. Richards Daimler rollte in den Ortskern, eine von allen Leuten verlassene Mischung aus Zehntscheuer und Lidl. Er fuhr am Abzweig Schlossstraße vorbei. Man vermutete eine Wasserburg eben nicht in einer Wohnstraße mit alten Bauernhöfen.
    In Kalteneck war der erste Stock erleuchtet, auch die Fenster von Rosenfelds ehemaligem Büro. Richard schnaufte, als wir den Steg überschritten. Ich spürte die Aversion unter seinem Dreiteiler. Richards Abscheu vor sterblichen Überresten und Orten eines Mordes war womöglich nichts anderes als Geisterfurcht. Als ob er den Geist sähe, der sich nicht mehr im Körper eines Toten befand, als ob er ihm schilderte, was er im Moment der gewissen Nimmerwiederkehr gefühlt hatte: Angst, Verwunderung, Bedauern, Freude. Und dann der Augenblick, wo die Welt verlosch.
    »Die Uhr steht immer noch«, bemerkte ich mit einem Blick den Giebel empor. »Und wenn sie stehen geblieben ist just in dem Moment, wo Rosenfeld starb … oder Juri sein Werk begann … 20 Uhr 3 ?«
    Richard warf einen unbehaglichen Blick hinauf. »Bist du sicher, dass sie erst seit dem 29 . Januar steht und nicht schon davor?«
    Nein, war ich nicht. Ich hatte mich nicht mal erkundigt. Peinlich! So entstehen übersinnliche Kurzschlüsse. Durch die Bereitschaft, sie für möglich zu halten, woraufhin man – in spukhafter Verblendung – sofort alle anderen Möglichkeit ausschließt.

18
    Dr. Derya Barzani kam uns aus Rosenfelds Büro entgegen. Sie hatte einen Mann erwartet, aber nicht in meiner Begleitung. Ihr Schritt stockte. »Frau Nerz!«
    »Guten Abend. Darf ich Ihnen Dr. Richard Weber vorstellen«, sagte ich.
    Sie schüttelte meinen Anblick aus den Augen, streckte Richard die Hand entgegen und legte in Bruchteilen einer Sekunde das ganze Make-up der Weiblichkeit auf. Der elegante und seiner Männlichkeit so sichere Staatsanwalt gefiel ihr. Sie träufelte Belladonna in die Mandelaugen, sie rötete sich die Lippen. Da sprang nicht nur ein Funke, es war ein ganzes Feuerwerk. »Freut mich, Herr Weber. Endlich lernen wir uns doch noch kennen.«
    Richard hatte mir mal erklärt, dass man unter graduierten Kollegen den Doktortitel wegließ. Er erwiderte den Händedruck mit einer sparsam angedeuteten Verbeugung und sagte: »Angenehm.« Seine Augenbraue zuckte und war Signal genug, dass er wohlgefällig und geschmeichelt verstand, dass die schöne Türkin das Spiel mit ihm spielen wollte, das zwischen Männern und Frauen immer gespielt wird. Mal mehr, mal weniger.
    »Ja«, sagte sie und lächelte. »Also … ehem … schön, dass Sie es gleich möglich machen konnten.«
    Richard erwiderte das Lächeln. »Es klang dringend. Was ist es denn, was Sie mir zeigen wollen?«
    Ihr Blick ging

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