Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
mir vorhin erst berichtet hatte. Dennoch lief ich raus.
Schon zwei Mal hatte ich die beiden Türen neben der Tür zu Rosenfelds Büro gesehen. Sie waren aufgesetzt wie Schranktüren. Ich zog an der rechten. Sie widerstand. Die Tür links daneben ließ sich dagegen zu Toiletten und einer winzigen Küche öffnen. Ein Kaffeeautomat stand dort, im Hängeschrank befand sich die übliche Bürosammlung von Gläsern und Tassen, im Kühlschrank kühlten eine Flasche Kessler Sekt, Joghurt, Orangensaft jenseits des Verfallsdatums.
Hm ja.
Ich kehrte zu der anderen Tür zurück und untersuchte das Schloss. Aber es zeigte sich, dass ich nur ordentlich rucken musste, um die Tür aufzubekommen. Sie hakte an der unteren Schwelle. Dahinter stieg eine Holztreppe ins Dachgebälk. Cipión nieste. Gleich rechts war eine Spanplatte vernagelt. Das musste die Rückwand des Einbauschranks in Rosenfelds Büro sein. Da war er also, der Ausgang aus dem Raum. Nur war er innen mit Farbe verkleistert. Und außen steckten alte Nägel im Holz, manche krumm und dreckverkrustet. Diese Platte hatte seit Jahrzehnten niemand mehr entfernt.
Cipión erklomm die ersten Stufen. Ich fand einen Lichtschalter, klemmte mir den Kurzbeinigen untern Arm und stieg hinauf. Bühnen riechen nach Abenteuer, warmem Staub, kaltem Holz, Mäusen und heißen Dachziegeln. Im First hing ein altes Wespennest. Hier oben war auch die Struktur der Burg deutlich erkennbar. Sie bestand aus zwei zu einem L zusammengefügten Häusern. Eine Stiege führte noch höher bis unter den Giebel des Querhauses. Oben warnte ein Schild vor brechenden Latten. Ein Brett war quer darüber gelegt, vermutlich für den Schornsteinfeger. Es war gefegt und fußspurfrei.
Cipión verschwand unterdessen unten im Durchgang zum anderen Dachstuhl. Neben dem Durchgang hing der Schaltkasten für die elektronische Steuerung der Giebeluhr.
Es war ein mächtiges Gebälk aus dunklem Holz. Ein faseriges Tau hing von einem Balken, als warte es auf einen Selbstmörder. Genau darunter musste sich Rosenfelds Büro befinden. Auch diese Fläche hatte die Polizei sicher nach einer Falltür abgesucht. Das konnte ich mir sparen. Vorn in der Giebelwand befanden sich zwei Fenster, in denen sich Straßenlicht verfing. Cipión schnüffelte ausführlich auf dem Boden herum. Ich blickte nach oben. Zwei Kabel, die den Längsbalken entlangliefen, bogen ab und verschwanden in einem Loch in einer Holzplatte in der Decke.
Das Kabel zur Uhr.
Ich musste mich strecken. Die Platte saß fest. Auch die Kabel waren nicht locker. Ich folgte ihnen am Balken entlang zurück zum Durchgang. Sie wanden sich um einen V -Träger und verschwanden in der Bretterwand zum Querhaus, kamen drüben wieder heraus und endeten im Schaltkasten für die Uhr. Ich klopfte auf das Display. Tot. Mit den Fingern folgte ich den Kabeln zurück ins Langhaus. Auf halbem Weg zu den Giebelfenstern stoppte eine Unebenheit meinen Finger. Gleichzeitig senkte Cipión zu meinen Füßen die Nase in eine Dielenritze.
Ich legte mich auf den Boden und leuchtete in die Nut. Ein Gewölle aus Staub und Holzfasern quoll dem Licht entgegen. Etwas blitzte kurz auf. Der Spalt war zu schmal für meine Finger. Frauen haben gelegentlich ein Maniküre-Set dabei, und zufällig war ich heute Frau. Ich stocherte mit der Spitze der Nagelschere einen Stahlstift aus dem Staub, nicht dicker als eine Nähnadel und ohne Kopf. Die Pinzette leistete gute Dienste, um ihn in einem Plastikbeutel zu versenken, wie er mit Knöpfen und Nieten gefüllt an manchen Klamotten hängt. Natürlich konnte der Nagel schon jahrelang dort liegen. Allerdings war er zu klein, um in diesem Gebälk irgendeinen Sinn zu haben. Wenn man aber einen Nagel in den Kupferkern eines Kabels drückt, gibt es im Schaltkasten einen Kurzschluss, die Uhr bleibt stehen, und kein Elektrotechniker bekommt sie wieder zum Laufen. Beim Versuch, dies zu tun, mochte dem Täter einer der Stahlstifte heruntergefallen sein. Das konnte die Polizei klären.
Ich kehrte in die staubfreien Räume des Instituts zurück. Richard und Derya saßen vor Rosenfelds Mac.
»Die Uhr ist angehalten worden«, platzte ich in das Idyll der Akademiker. »Und zwar nicht durch eine Quantenverschwörung, sondern mit einem grobphysikalischen Nagel.«
Richard hatte sich schneller als sie orientiert. »Und was soll uns das sagen?«
»Legt man die deutsche Stundenrechnung zugrunde, entsteht die Zahl für Psi: 20 plus 3 ist 23 .«
Derya Barzani lächelte
Weitere Kostenlose Bücher