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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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weiter, der ihn kurz überflog und dann leise durch die Zähne pfiff.
    »Genau.« Baltes legte die Hände auf seine Knie. »Ich habe mich nach Krämers Schwester erkundigt. Ihr plötzlicher Tod ist nie richtig untersucht worden. Man hat das damals nicht für nötig gehalten. Sie ist am 18. Juli 1968 gestorben.«

     
    »Du meinst, sie könnte von ihren Eltern getötet worden sein? Weil sie mit der Pflege überfordert waren?«
    »Wir werden es nie erfahren.«
    »Weil die Eltern längst tot sind.« Ecki ließ die Kopie auf den Schreibtisch fallen.
    »Und weil Krämer nichts sagen wird«, ergänzte Baltes.
    »Das werden wir noch sehen.« Frank öffnete die Schublade und holte die Bluesharp hervor. »Er weiß auf jeden Fall eine Menge mehr, als er zugeben will.« Er legte die Mundharmonika auf den Tisch.
    »Krämer wird nicht reden.« Gisbert Baltes schüttelte den Kopf. »Schon gar nicht nach eurem Gespräch. Ihr solltet ihn eine Weile in Ruhe lassen.«
    »Das können wir nicht. Erst recht nicht nach deiner Vermutung«, konterte Frank.
    »Ich kenne ihn. Wenn ihr ihn zu sehr aufscheucht, wird er verschwinden.«
    »Umso eher müssen wir reagieren.«
    »Frank hat recht, wir dürfen Krämer nicht mehr ohne Aufsicht lassen«, pflichtete Ecki seinem Freund bei. Er merkte, dass Baltes nicht zufrieden war.
    »Lasst ihm ein bisschen Zeit.«
     
    —
     
    Er kaute auf seinem Bleistift, dann setzte er ihn auf das Blatt. Ja, das war ein guter Satz, kommentierte er stumm seinen Einfall: »Wir brauchen eine Kultur des Todes, um leben zu können«, murmelte er. Das war der richtige Anfang für das nächste Kapitel.
    Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er musste mit seiner Schrift zum Ende kommen. Hastig blätterte er in seinen Unterlagen. Endlich fand er, was er gesucht hatte.
    »Da ist es«, nickte er. Es war nur ein Satz: »Die Fähigkeit zu töten war die eigentliche und sehr persönlich gedachte Grundlage königlicher Macht.«
    Ein kluger Kopf, dieser Andreas Fuchs. Er würde sich gleich morgen das Buch Extreme Formen von Gewalt in Bild und Text des Altertums besorgen. Darin schienen eine Menge Weisheiten und Anregungen zu stecken.
    Er würde mit der Veröffentlichung Maßstäbe setzen. Wir brauchen eine Kultur des Todes, um leben zu können: Der Bleistift flog nur so über die Seiten. Er vergaß alles um sich herum. Bis auf die Schmetterlinge, die es noch zu befreien galt. Bald war die Zeit.
    Aber erst wollte er Callas hören. »Seine« Callas, die über alles geliebte und verehrte Göttin. Er drehte seine Anlage auf maximale Lautstärke.
     
    —
     
    Heinz-Jürgen Schrievers hob einen Walkingstock zum Gruß. »Hallo, Dietmar, ich wäre beinahe schon ohne dich los.«
    »Hatte noch zu tun. Tut mir leid.« Gilleßen nahm seine Stöcke vom Rücksitz und schloss seinen Wagen ab, dabei musterte er den Archivar, der wie immer in viel zu weiten Sporthosen und diesmal in einem ausgebleichten, ehemals roten T - S hirt steckte.
    »Was ist?« Schrievers fühlte sich taxiert.
    »Nichts. Sollen wir?« Auch Gilleßen hob einen Stock.
    »Auf geht’s.« Heinz-Jürgen Schrievers holte mit seinen Armen weit aus, um den nötigen Schwung zu bekommen.
    »Wie immer?«, hörte er hinter sich.
    Schrievers nickte vergnügt. »Wie immer.«
    Der Archivar der Mönchengladbacher Polizei hatte tatsächlich Spaß am Walken gefunden. Wann immer er mit der Polizeisportgruppe trainieren konnte, war er dabei. Er fühlte sich von Tag zu Tag fitter, und seit er nicht mehr alleine seine Runden um Schloss Rheydt drehen musste, zog er sich auch nach Dienstschluss oder sogar vor Dienstbeginn seine Trainingssachen an, um gegen seine Pfunde »anzugehen«.
    Anfangs hatte Gertrud zwischen leichtem Spott und echter Begeisterung geschwankt, sich in den vergangenen Wochen aber immer mehr zu einer wahren Motivationstrainerin entwickelt, die nicht nur aufmunternde Kommentare für seine neu entdeckte Leidenschaft parat hatte, sondern auch konsequent kalorienbewusst für ihn kochte. Selbst im Freundes- und Bekanntenkreis sorgte sie dafür, dass ihr Heinz-Jürgen nicht mit üppigen Kuchenstücken oder deftigen Haxen in Versuchung gebracht wurde.
    So weit war bei Heinz-Jürgen Schrievers alles »in Butter«. Vielleicht bis auf die Tatsache, dass er auf seine geliebten Leberwurstbrote verzichten sollte. Das war ihm bisher nicht konsequent gelungen. Hin und wieder stand er deshalb in der Kantine vor dem Wirt, der ihm, fast wie einem Junkie, verstohlen ein in Silberfolie eingepacktes

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