Totenstimmung
Immerhin ist ein Beinbruch keine Kleinigkeit.«
»Aber auch nichts, das mich völlig außer Gefecht setzt«, antwortete Jasmin bissiger, als sie wollte.
»Okay, ich weiß, du steckst voller Ehrgeiz. Aber du musst wissen, wann du ihn einsetzt. Es bringt nichts, wenn du einfach losrennst und dich verzettelst.«
»Du meinst also auch, dass ich schlechte Arbeit leiste.« Jasmin reckte das Kinn.
»Nein, das meine ich nicht!« Ecki ärgerte sich. Er hatte Besseres zu tun, als das angekratzte Ego einer Kollegin aufzupolieren. »Aber krankgeschrieben ist nun mal krankgeschrieben.«
»Ich habe verstanden.« Die Kommissarin stand abrupt auf und humpelte zu ihren Krücken.
»Jasmin!« Bevor Ecki mehr sagen konnte, hatte sie die Tür schon wütend hinter sich zugeschlagen.
Augenblicke später betrat Frank das Büro. »Was war das denn gerade? Ein Tornado auf Krücken?«
»Die künftige Polizeipräsidentin.«
»Ich hab uns ein paar Hefeteilchen mitgebracht.«
Ecki begutachtete die Tüte, die Frank auf den Tisch gelegt hatte. »Im Moment ist mir der Appetit vergangen.« Lustlos referierte er Köllges’ Ermittlungsergebnisse.
»Ich muss selbst mit Silvia sprechen.«
»Du weißt doch, was die Ärzte sagen. Silvia ist nicht nur geistig behindert, sie ist traumatisiert. Eine denkbar schlechte Kombination.«
»Sie ist unsere einzige Verbindung zum Täter.«
Ecki nickte. »Er hat sich gut abgeschirmt. Zwischen uns und ihm steht ein Mensch, der sich nicht mitteilen kann. Besser geht es nicht.«
»Ich muss es zumindest versuchen.«
»Wie soll das gehen?«
»Ein paar Brocken Deutsch spricht sie immerhin. Und Schmetterlinge sind offenbar wichtig für sie.«
»Wie willst du mit jemandem Kontakt aufnehmen, der dich intellektuell und sprachlich nicht versteht?«
»Durch Bilder?«
»Selbst wenn sie etwas erkennt, was sagt uns das?«
»Musik. Wir müssen es über die Musik versuchen.« Frank sah Ecki hoffnungsvoll an. »Wir spielen ihr Klassik vor.«
»Das haben die Ärzte bereits gemacht.«
»Dann machen wir es eben noch einmal. Die Bilder und die Musik müssen etwas in ihr auslösen. Davon bin ich überzeugt.«
»Ich glaube, du verrennst dich da. Lass die Ärzte ihre Arbeit machen. Misch du dich jetzt nicht ein. Das verwirrt Silvia höchstens noch mehr.«
»Wir haben gar keine Wahl.« Frank griff nach der Tüte mit den Teilchen. »Sie wird etwas aussagen können. Auch geistig behinderte Menschen haben ihre Möglichkeiten. Meinetwegen fahre ich auch tagelang mit ihr durch die Stadt. Sie wird am Ende etwas wiedererkennen, und das wird uns dann weiterbringen, verlass dich drauf.«
»Irgendwo bei Koblenz gibt es einen Schmetterlingspark. Marion will schon lange mit den Kindern dorthin. Muss toll sein, hat sie in einer ihrer Frauenzeitungen gelesen.«
»Bendorf, Garten der Schmetterlinge.« Frank nickte. »Habe ich auch schon recherchiert. Ich besorge mir erst mal in der Stadtbücherei ein paar Bildbände. Möglicherweise reichen die schon aus.«
—
Ich ertrage diese Unfähigkeit nicht länger. Wie lange soll ich das Elend noch aushalten? Das mit Silvia – na ja, das war ein Anfängerfehler. Ich hätte sie zu mehr Gehorsam erziehen müssen! Ich war zu voreilig. Ich hätte noch ein Quäntchen mehr Geduld haben müssen. Nun ist der Sprengstoff weg. Und mein Schmetterling. Ich muss auf die nächste Lieferung warten. Das wird nicht einfach sein. Es stimmt also, was er immer gesagt hat – ich bin nicht geduldig, nicht gelehrig und brauche meine Strafe. Ich habe es nicht besser verdient. Ich bin der Schmetterling an der Wand. Ich bin der Dreck im Keller. Ich kann nicht einmal Mundharmonika spielen. Ich werde dafür Buße tun. Und zwar jetzt. Die alte Wanne ist noch da. Ich muss nur den Stuhl hineinstellen.
—
Carolina Guttat strich, seit sie in dem kleinen Lokal saß, unablässig ihren Rock glatt. Sie wartete ungeduldig auf ihre Verabredung. Mehrfach hatte sie den Impuls unterdrücken müssen, aufzustehen und das Antik-Café zu verlassen.
Eine Schnapsidee. Wie hatte sie sich nur auf das Treffen einlassen können? Welcher Teufel hatte sie geritten, sich ausgerechnet hier, in aller Öffentlichkeit, mit ihm zu treffen? Was wollte sie von ihm? Die Absolution oder die klare Aussage, dass sie dabei war, verrückt zu werden?
Sie hatte Bernd seit Jahren nicht gesehen. Zufällig war ihr sein Name auf einer Schöffenliste ins Auge gesprungen. Auf einem der ersten Klassentreffen hatte sie ihn flüchtig
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