Totenstimmung
Onkel und Tanten, die sie liebevoll aufgearbeitet und in ihrem Haus aufgestellt hatten.
»Die goldenen Zeiten sind längst vorbei. Heutzutage musst du weit fahren, bis tief in den Osten. Manchmal bin ich wochenlang unterwegs. Aber ich habe mittlerweile auch Leute dort, die mir ausgesuchte Sachen bringen.«
»Kann ich die übrigen Räume auch sehen? Ich glaube, dass ich in dem hier nicht fündig werde.«
Gilleßen gab Schrievers den Weg frei. »Kein Problem.«
Neugierig wanderte Schrievers durch alle Räume. Schon bald hatte er den feinen Staub des Holzwurmmehls in der Nase und Spinnwebenfetzen im Haar. Seine Hände waren grau und stumpf vom Staub, aber ein Tischchen, wie er es suchte, war nicht unter den Möbeln, die Gilleßen hortete. Schließlich hatte er auch den letzten Raum des Möbellagers durchstöbert.
»Schade.«
»Nächste Woche soll neue Ware kommen. Ich warte noch auf einen Anruf von Sergej. Vielleicht hast du ja Glück.«
»Wäre schön. Gertrud wünscht sich schon so lange so ein Tischchen mit gedrechselter Säule.«
»Kann ich gut verstehen.« Gilleßen nickte. »Alte Möbel haben Charakter. Mit ihnen kauft man ihre Geschichte. Und jede ist anders. Ich möchte niemals in neuen Möbeln leben.« Er schüttelte entschieden den Kopf.
»Und hier drüber ist wirklich alles leer?« Heinz-Jürgen Schrievers deutete auf die Betondecke über ihren Köpfen.
Gilleßen lachte. »Du willst wohl unbedingt etwas für deine Gertrud finden. Leider muss ich dich enttäuschen. Dort oben ist nichts mehr. Alles leer. Nur Staub und Spinnen.«
»Dafür sieht der Aufgang aber gut gefegt aus.« Der Archivar deutete auf die Treppenstufen, die am Ende des Ganges in die nächste Etage führten.
»Gut beobachtet, Herr Kommissar. Aber da ist wirklich nichts.«
»Dann werde ich mich wohl gedulden müssen.« Schrievers seufzte.
»Möchtest du vielleicht einen Kaffee?«
Der Archivar sah auf die Uhr. »Eigentlich ja. Aber um ehrlich zu sein, bin ich schon viel zu lange hier. Ich muss noch einmal ins Präsidium. Zwei Kollegen feiern Geburtstag.«
Gilleßens Lächeln war verschwunden. »Dann ein anderes Mal, oder? Ich hatte gedacht, wir würden noch ein wenig plaudern. Über Möbel oder über deine Arbeit. Die interessiert mich wirklich.«
»Mein Job ist auch nicht aufregender als andere. Polizeiarbeit ist meist langweiliger Kram.«
»Das sagst du so, aber für mich ist das wirklich spannend.«
»Sehen wir uns morgen beim Walken? Dann können wir ja ein neues Treffen vereinbaren. Magst du vielleicht mal zu uns kommen?«
»Mal sehen.«
Jasmin Köllges stellte ihre Krücken an die Bürowand und humpelte die wenigen Schritte zum Schreibtisch. »Niemand will Silvia jemals gesehen haben. Viele meinen, Downies sähen doch alle gleich aus. Die Busfahrer können oder wollen sich nicht erinnern. Hier ist die Liste aller Unternehmen, die Mönchengladbach als Busbahnhof nutzen. Ihr Foto ist schon zu ihnen unterwegs. Aber«, sie setzte sich vorsichtig, »ich glaube nicht, dass sich da noch was ergibt. Wer weiß, auf welchem Weg Silvia zu uns gekommen ist.«
Ecki bedauerte seine Kollegin. Sie hatte sich zwar aufgedrängt, aber er hätte ihr den Erfolg ihrer Puzzelei gegönnt. »Warten wir es ab. Was macht dein Bein?«
»Der Gips soll bald runter, dann geht’s los mit der Reha. Ich fühl mich total behindert.«
»Bevor ich es vergesse, wir haben eine Anfrage beim Verteidigungsministerium laufen. Silvia könnte von einem durchgeknallten ehemaligen Soldaten präpariert worden sein.«
Jasmin sah ihn irritiert an.
Ecki hob die Hände. »Ist nur eine Vermutung. Aber dann wäre immer noch nicht geklärt, woher Silvia kommt.«
»Wie weit seid ihr mit ihr?«
»Versuch und Irrtum. Wir haben schon mehrere Dolmetscher osteuropäischer Dialekte und Sprachen durch. Bisher ohne eindeutiges Ergebnis.«
»Und der Gürtel?«
»Die ›Zutaten‹ stammen fast ausschließlich aus dem Baumarkt. Der Stoff für die Halterungen der Sprengsätze ist vermutlich Moleskin.«
»Daraus lässt die Bundeswehr Kampfanzüge machen.« Jasmin Köllges wurde hellhörig.
Ecki winkte ab. »Militärklamotten kriegste in jedem Nato-Shop.«
»Aber Silvia kann doch nicht vom Himmel gefallen sein.«
»Das kriegen wir schon noch raus. Jedenfalls danke für deinen Einsatz.«
»Der ja wohl nichts gebracht hat außer Ärger und Spott.«
»Spott?«
»Frank nimmt mich doch überhaupt nicht ernst.«
»Das stimmt so nicht. Er wollte nur, dass du dich schonst.
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