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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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traumatisiert haben.« Frank legte seine Hand auf Lisas. Er wollte den Gedanken nicht weiterdenken, der sich ihm aufdrängte.
    »Ich habe dazu eine Anfrage nach Berlin geschickt. Noch hat das Verteidigungsministerium nicht darauf reagiert.«
    »Die werden kein Interesse daran haben, dass so etwas öffentlich wird.« Frank bezweifelte, dass die Behörde sonderlich kooperativ sein würde.
    Lisa stand auf. »Das macht mich ganz nervös. – Möchte noch jemand einen Kaffee?«
     
    —
     
    Das Wasser ist kalt. Die Füße schmerzen. Es hilft nichts, von einem Bein auf das andere zu treten, das Wasser steht zu hoch, bis über die Waden. Ich darf nicht laut atmen. Er wird es hören. Die harten Kanten der Mundharmonika schneiden in meine Mundwinkel. Ich muss tief atmen, aber ich darf nicht. Darf nicht. Warum tut er das? Ich war doch artig!? Ich tue immer das, was er will. Ich muss pinkeln. Aber ich darf nicht. Wenn meine Hose nass wird, wird es nur noch schlimmer. Bitte binde mich los, bitte. Meine Arme schmerzen. Ich will auch immer artig sein. Bitte, komm und hol mich hier raus. Es ist so dunkel und riecht nach feuchten Briketts. Was ist das an meinen Beinen? Eine Spinne! Ich habe Angst. Ich will nicht, dass sie an mir hochklettert. Ich will Licht. Mir ist so kalt. Ich friere. Der Boden der Blechwanne ist so rau. Ich muss mal! Ich kann nicht mehr. Ich muss atmen! Schrill ziehen die Töne durch den dunklen Keller. Hässlich und laut. Gleich wird die Tür aufgehen, und er wird seinen Gürtel ziehen. Ich muss pinkeln. Ich … Es läuft und es ist warm.
    Als die Tür aufgeschoben wird, fällt der schmale Lichtstrahl auf das vertrocknete Pfauenauge, das an der Kellerwand gegenüber klebt. Es hängt schon lange dort. Sein einziger Freund, den er hier unten hat.
    Er schreckt hoch und ist schweißgebadet.
     
    —
     
    Schrievers schmunzelte. »Hier kommt so schnell keiner rein.«
    »Es ist nicht die erste Adresse, dafür aber unschlagbar billig.«
    »Keine Frage.« Der Archivar war neugierig auf das, was ihn hinter der schweren Eisentür erwartete.
    Dietmar Gilleßen suchte den passenden Schlüssel aus dem klirrenden Bund und schloss auf. Seine Stimme hallte, als er in den dunklen Vorraum trat. »Ich habe lange nach etwas Passendem gesucht.«
    Der Archivar folgte Gilleßen durch die schmalen Flure, in denen die Wandlampen nur ein schwaches Licht abgaben. Es war kühl und roch muffig nach Staub und feuchtem Beton.
    Gilleßen bemerkte Schrievers’ verhaltene Neugierde. »Zuerst habe ich ihn fast nicht ausgehalten, diesen Geruch. Aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt. Ich fühle mich fast schon wie zu Hause hier. Hier kann ich ungestört in meinem Lager kramen und meine Schätze sortieren. Ich habe nämlich eine Menge Durchlaufposten. Das Geschäft geht im Augenblick ganz gut.« Im Vorübergehen schaltete er weitere Lampen ein.
    Schrievers fror ein wenig. »Du hast den ganzen Bunker gemietet? Das müssen doch Dutzende Räume sein.«
    »Nur ein paar. Die anderen stehen leer. Macht aber keinen Unterschied. Ich könnte mich auch dort ausbreiten. Würde eh keiner kontrollieren.«
    Schrievers nickte und blieb stehen. »Ich suche für meine Gertrud ein altes Nähtischchen, möglichst in Kirschholz oder Rüster. Hast du so etwas da?«
    Gilleßen deutete den Gang entlang. »Sieh dich doch einfach mal in aller Ruhe um.«
    Neugierig betrat Heinz-Jürgen Schrievers den ersten Raum. Im schwachen Licht der Deckenbeleuchtung stapelten sich Weichholzschränke, Kommoden und Tische. Dazwischen standen mit Spinnweben überzogene Spiegel, Bilderrahmen, Truhen, aus denen Holzmehl rieselte, und immer wieder Stühle.
    Der Archivar sah Gilleßen an, der ihn selbstzufrieden anlächelte. »Unglaublich! Woher hast du all die Sachen?«
    »Oh, da muss man schon ein Stück fahren. Der Niederrhein ist weitgehend abgegrast. Bis auf wenige Ausnahmen sind die guten Sachen längst weg, die Niederländer haben vieles weggekauft. Ich habe jahrelang die neuen Bundesländer abgeklappert. Die haben in ihrem Vereinigungswahn alles weggeworfen, was nach DDR und alt aussah.« Gilleßen grinste bei dem Gedanken. »Ich habe Schränke für zehn Mark gekauft, die bei uns zweitausend und mehr gebracht haben. Oft war ich schneller als die Holländer.«
    »Donnerwetter.« Schrievers musste an die Dachböden seiner Verwandtschaft denken, die er mit Gertrud über die Jahre durchforstet hatte. Echte Schätze hatte er nie gefunden, dafür aber jede Menge Erinnerungsstücke an

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