Totenstimmung
gesprochen und erstaunt gehört, dass er nach seinem Lehramtsstudium noch eine Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht hatte. Ausgerechnet Bernd, der Mathe und Physik studiert hatte, der keine Freunde gehabt hatte, sondern nur seine Logarithmentafel. Bernd, der nur das hatte akzeptieren wollen, was sich beweisen ließ, mit Naturgesetzen, Formeln und Zahlenkolonnen.
Die Staatsanwältin sah sich zum wiederholten Male um. Nostalgia , der Name war in der Tat Programm. Eigentlich war ihr die Umgebung zu plüschig, aber Bernd hatte ihr bei ihrem Telefongespräch derart von dem kleinen Café vorgeschwärmt, dass sie schließlich dem ungewöhnlichen Treffpunkt für ihre gleichermaßen ungewöhnliche Verabredung zugestimmt hatte.
Die Geschäftsidee war nicht schlecht, dachte Carolina Guttat. Immerhin sorgte sie für Abwechslung, denn jeden Einrichtungsgegenstand konnte man auch kaufen. Jedes Bild, jeden Nippes, jeden alten Stuhl, jedes Sofa, jeden Tisch, ja selbst das Geschirr. Die Betreiberin des schlauchartigen Cafés erkundigte sich gerade, ob Carolina Guttat noch einen Wunsch hätte, als die Glastür aufging.
Bernd war mittelgroß und unscheinbar gekleidet, sein Haar trug er, anders als damals, kurz. Carolina bemerkte einen deutlichen Bauchansatz und das braune Herrentäschchen, das Bernd an einer Schlaufe an seinem Handgelenk trug.
Die Staatsanwältin musste einen neuerlichen Fluchtimpuls unterdrücken. Du bleibst schön hier sitzen, trinkst einen Milchkaffee und verschwindest dann mit dem Verweis auf »dringende Ermittlungen«, schärfte sie sich ein.
Ohne näher auf den Grund für sein Zuspätkommen einzugehen, stellte Bernd seine Handtasche auf den Stuhl neben sich und bestellte bei der Frau, die er vertraulich Monika nannte, einen »Schonkaffee« und ein Glas Wasser.
»Was kann ich für dich tun?« Bernd Pohle legte seine Fingerspitzen aneinander. Seine wasserblauen Augen warteten geduldig auf Carolina Guttats Antwort.
Wie dämlich, dachte sie. Du Abziehbild eines Psychologen. Sie schaffte es dennoch nicht, seinem Blick standzuhalten.
»Dein Mann? Hast du Eheprobleme? Geht er fremd? Gehst du fremd? Was ist es?« Pohle ließ seine Fingerspitzen gegeneinanderklopfen.
Carolina Guttat meinte einen spöttischen Unterton zu hören. Konnte er nicht wenigstens so tun und ein bisschen Small Talk machen, bevor sie zur Sache kamen? Sie wollte schon protestieren, hielt aber inne. Provozieren lassen wollte sie sich nicht.
»Hör zu, Bernd, es war ein Fehler, dich anzurufen. Ich brauche deine Hilfe doch nicht. Lass uns einfach einen Kaffee trinken, von den alten Zeiten erzählen und dann wieder getrennter Wege gehen. Das ist das Beste, glaube ich.«
»Für wen? Für dich? Für dein Problem? Ich habe mir extra Zeit genommen. Wenn ich dir helfen kann, dann gerne.« Pohle beugte sich vor. »Du bist immer noch ganz die Alte, nur keine Schwäche zeigen. Du hast den richtigen Beruf gewählt, Caro.« Er lehnte sich zurück.
Carolina Guttat kniff die Augen zusammen und schwieg. Ihre Hände suchten eine Serviette oder zumindest das leere Zuckertütchen, aber da war nichts Passendes auf dem Tisch.
»Nach allem, was ich über dich gehört habe, machst du deine Sache ausgezeichnet.«
»Du hast dich nach mir erkundigt?« Ihre Finger fanden endlich den Kaffeelöffel.
»Ich muss schließlich wissen, mit wem ich es zu tun habe.« Pohle lächelte. »Menschen ändern sich, aber du bist immer noch die alte Caro.«
Carolina Guttat rührte in den Resten ihres Kaffees. Was hätte sie auch sagen sollen? Dass er ihr tief in die Seele sah, ohne dass sie eine Chance auf Gegenwehr hatte?
»Was ist es? Mit deinem Job hat es nichts zu tun. Zumindest nicht direkt. Oder etwa doch?« Bernd Pohle legte erneut die Fingerspitzen aneinander.
Carolina fühlte sich mit einem Mal nackt. Sie musste sich zwingen, nicht den Kragen ihrer Bluse zusammenzuraffen. Sie versuchte ihre Beine übereinanderzuschlagen, aber der niedrige Tisch ließ das nicht zu.
»Möchtest du vielleicht in meine Praxis kommen? Wäre dir das lieber als die Umgebung hier?« Seine Stimme klang so sanft, als würde die Staatsanwältin bereits auf seiner Couch liegen.
»Bernd, ich weiß nicht.« Carolina Guttat zögerte. »Es ist nur so, dass ich kaum noch eine Nacht schlafe.«
»Dagegen gibt es Medikamente.« Pohle bedankte sich für den Kaffee, den die Cafébesitzerin gebracht hatte.
»Darum geht es nicht.« Sie legte das Löffelchen zurück auf die Untertasse.
»Das denke ich
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