Totenstimmung
mir.«
»Ich habe immer den gleichen Traum.« Sie schluckte.
»Schuldgefühle?« Mehr sagte Pohle nicht.
»Wieso?«
»Die meisten Menschen träumen schlecht, weil sie Schuldgefühle haben.«
Die Staatsanwältin fixierte das Ölgemälde an der Wand gegenüber. Zwei Pferde zogen mit gebeugten Köpfen einen Pflug durch den Acker.
»Was quält dich?«
»Ich hätte nicht herkommen sollen.« Die Pferde bewegten sich keinen Millimeter, sosehr sie es sich auch vorzustellen versuchte. Aber sie meinte ihr Schnauben zu hören und den aufgebrochenen Boden zu riechen.
»Zahlen wir?« Pohle griff nach seinem Täschchen.
»Ich sehe immer nur dieses Gesicht.«
Pohle zog die Hand zurück, sein Gesicht ließ nicht erkennen, was er dachte.
»Ich war noch ein Kind, damals. Und da war dieses andere Kind.« Carolina Guttat schien sich in ein unsichtbares Geschirr zu stemmen.
Pohle nickte bloß.
»Das Gesicht war rund und groß, und das Kellerlicht flackerte andauernd.«
»Du hattest Angst?«
Die Staatsanwältin nickte.
»Vor dem Keller?«
»Ich hatte Angst, dass das Licht ausgeht. Und ich hatte Angst vor diesen Augen. Das Mädchen hat nie etwas gesagt. Sie hat nur dagestanden und mich angestarrt. Sie war immer da. Immer wenn ich in den Keller meiner Großeltern musste, um Kartoffeln oder eingemachtes Obst zu holen.«
»Kanntest du ihren Namen?«
»Nein.«
»Hast du mit deinen Großeltern mal über das Mädchen im Keller gesprochen?«
»Nein. Ich wusste, dass ich sie nicht erwähnen durfte. Ich weiß bis heute nicht, warum ich das wusste. Es war nur so, dass sie nicht existieren durfte.« Das Geschirr rieb ihre Schultern wund.
»Das verstehe ich nicht.«
»Heute weiß ich, dass das Mädchen behindert war.«
»Was ist aus ihr geworden?«
»Ich weiß es nicht.« Ein Zittern lief durch ihren Körper. Der Pflug wog so schwer.
»Schämst du dich?«
»Ich fühle mich schuldig, weil ich nichts getan habe.«
»Was hättest du denn tun sollen?«
»Ich habe damals geglaubt, dass sie dort unten haust. Alleine. Dass sie eingesperrt war und und ich ihr hätte helfen müssen. Ich habe sie niemals bei Tageslicht gesehen. Immer nur unter dieser flackernden Lampe. Ich weiß nicht, was sie dort unten gemacht hat. Bis heute nicht. Ich bin vor einiger Zeit wieder an dem Haus gewesen. Ich weiß nicht, was ich dort gesucht oder erwartet habe. Es war alles so anders. Sie muss damals etwa so alt wie ich gewesen sein.«
»Dieses Gefühl von Schuld lastet schwer auf dir.«
Carolina hob den Kopf. Sie spürte, dass sie keinen Schritt vorankommen würde. »Ich hätte ihr helfen müssen.«
»Du warst selbst noch ein Kind.«
»Das zählt nicht.«
»Du hättest nichts tun können.«
»Ich sehe diese Augen wieder. Seit dem Mord an der behinderten jungen Frau.«
Bernd Pohle nickte. Er sah seiner Schulfreundin in die Augen und wusste, dass sich die Tür zwischen ihnen wieder geschlossen hatte. »Ihr werdet den Mörder finden.«
»Du hast ja keine Ahnung.« Carolina Guttat straffte sich. Ihre Schultern schmerzten. Das Ölbild war nichts als Kitsch. Nichts, was sie sich aufhängen würde.
»Ich hätte dir gerne geholfen.«
»Sei mir bitte nicht böse, Bernd, aber ich habe gleich noch eine wichtige Besprechung.«
Bernd Pohle nickte. »Geh nur. Du wirst deinen Weg schon finden.« Er deutete auf das Ölbild. »Viele Dinge hier sind ja wirklich schön, aber dieser alte Schinken ist wirklich purer Kitsch. Findest du nicht?«
»Froia arme!«
Heinz-Jürgen Schrievers wendete das Blatt erneut.
»Froia arme. Keine Ahnung, was das heißen soll. Klingt nach Latein. Vielleicht auch Griechisch.«
Frank seufzte. »Dann muss das LKA ran. Ich kann mir keinen Reim auf den Spruch machen. Und die Papierqualität sagt auch nix aus. Kopierpapier, würde ich sagen.«
»Tut mir leid, aber hier bin ich mit meinem Latein buchstäblich am Ende.« Schrievers runzelte immer noch die Stirn. »Froia arme! Nie gehört.«
Ecki nahm den Zettel an sich. »Das Ausrufezeichen deutet auf eine Aufforderung oder Erkenntnis hin.«
Schrievers deutete auf das gefaltete Blatt. »Sonst war nichts dabei?«
»Nichts.«
»Dann werden wir bald wissen, was es bedeutet.«
»Wie kommst du darauf?«
»Es ist eine Ankündigung. Sonst wäre eine Erklärung beigefügt. Da bin ich mir sicher.« Schrievers nickte.
»Das klingt nicht beruhigend.« Frank sah Ecki an.
»Ich glaube, Schrievers hat recht. Aber bis dahin mach ich mir keinen Kopf über den Zettel. Abwarten und Tee
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