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Totentaenze

Totentaenze

Titel: Totentaenze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Gurian , Krystyna Kuhn , Manuela Martini , Susanne Mischke
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Lokalisten nach ihr gesucht und dort tatsächlich eine Seite von ihr gefunden.
    Und danach war mir alles sonnenklar.
    Sie schreibt nämlich Tagebuch und sie war sich nicht zu blöd, ihre geistigen Ergüsse bei den Lokalisten reinzustellen. Die ersten Texte waren schrecklich langweilig, aber dann stieß ich plötzlich auf Einträge, die sich auf seine Gedichte bezogen und sehr verliebt klangen. So als wäre Marie-Amelie absolut hingerissen von Luis, als könnte sie es kaum erwarten, seine nächsten Mails zu bekommen. Da bin ich irgendwie stutzig geworden. Wenn sie ihn so toll und witzig fand und das sogar ins Netz stellte, wo jeder es lesen kann, warum schrieb sie ihm dann privat etwas anderes? Nämlich, dass sie in der Schule so tun muss, als wäre nichts zwischen ihnen?
    Und dann kam ich zu diesem Eintrag:
    Ich hätte so gern ein Foto von dir, eins, auf dem man nackte Tatsachen sehen kann. Es wäre für mich der ultimative Vertrauensbeweis! Erst dann kann ich sicher sein, dass du mich wirklich liebst. Und das wird der Anfang sein, der Anfang von UNS.
    Am liebsten hätte ich auf den Monitor gespuckt. Was für ein kranker Scheiß war das denn? Luis hatte ihr hoffentlich nicht wirklich ein Nacktfoto von sich geschickt … Ich habe daraufhin sofort ihr Fotoalbum angeklickt – das war natürlich auch für alle zugänglich.
    Mein Bruder grinste mir gleich vom ersten Bild splitternackt entgegen. Man sah alles, jede Speckfalte, seinen Pimmel, Haare, Hoden – einfach alles. Ein megamieses Foto. Im Hintergrund die Fototapete von unserem Pool.
    Und Marie hatte es nicht nur für jeden sichtbar gemacht, sondern auch noch allen erlaubt, Kommentare abzugeben:
    »Mit der Lupe sieht dein Pimmel echt stark aus«, von jaypuck.
    tensisi schrieb: »Wenn Fett glücklich macht, bist du Buddha« – »Wow, Luis, das ist ja mal echt komisch«, von peacebrother. »Lass dir ›Schlappschwanz‹ auf den Bauch tätowieren«, schlug miamara vor.
    So ging das über Seiten. Und das Allerschlimmste war: Es gab keinen Kopierschutz, jeder konnte sich die Bilder auf seinen Rechner rüberziehen; damit war dieses Foto von Luis für immer im Internet unterwegs!
    In diesem Moment war mir sonnenklar, warum Luis gegen den Baum gefahren war. Wie hatte mein kleiner romantischer Bruder nur glauben können, sein Foto würde irgendwas an Maries Gefühlen ändern? Marie hatte ihn einfach nur verarscht; erst hingehalten und dann gnadenlos der Lächerlichkeit preisgegeben. So war Luis nicht komisch, sondern hatte sich einfach nur schrecklich lächerlich gemacht.
    Nur noch ein paar Minuten. Marie sollte jeden Moment hier sein. Ich bin jetzt doch etwas nervös und gehe vor dem Küchenfenster hin und her. Noch niemand zu sehen. Als ich heute Morgen noch mal auf Maries Seite bei den Lokalisten war, um mich für meine Rache in die richtige Stimmung zu bringen, gab es dort keine Person namens Marie-Amelie mehr. Dieses miese Stück hatte nach dem »Unfall« wohl doch das Flattern gekriegt und schnell ihre Seite bei den Lokalisten gelöscht. Wenn das nicht ein klarer Beweis dafür ist, dass sie sich schuldig fühlt! Es gibt also keinen Grund, sie zu schonen.
    Da, endlich tut sich was im Vorgarten! Marie-Amelie sperrt ihr Rad ab, sie schaut sich dabei ständig um, als ob sie nervös wäre. Fast ein bisschen so, als würde sie lieber wieder wegfahren. Ganz sicher ist das ihr schlechtes Gewissen, das sich da rührt. Die Angst davor, sich mir zu stellen.
    Zu spät, Marie, zu spät.
    Luis liegt im Koma und jetzt bist du dran, Pechmarie!
    Ich gehe zur Haustür, um sie reinzulassen.
    Marie-Amelie
    Noch bevor Marie überhaupt auf die Klingel drücken konnte, wurde die Tür schon aufgerissen. Marie zuckte zusammen. Lina stand vor ihr, sah aus wie ein halb verhungertes Kätzchen, dessen Mutter gerade gestorben ist, und damit sah sie genau so aus, wie Marie sich gerade fühlte: Elend.
    Unwillkürlich zog Marie den Bauch ein, der gerade mal wieder über den Bund ihrer Jeans quoll. Wenn die Welt gerecht wäre, dann würde nicht ich, sondern Lina wie ein Elefant aussehen, dachte sie. Denn Lina war ihrer Meinung nach genau das: so sensibel wie der berühmte Elefant im Porzellanladen.
    Aber es gab keine Gerechtigkeit.
    Sie hätte nicht kommen sollen, doch ihre Neugier und ihre Schuldgefühle hatten sie hergetrieben. In dem Moment, als Lina ihr gesagt hatte, es gäbe da etwas von Luis für sie, war sie so überrascht gewesen, dass sie einfach genickt hatte. Außerdem musste sie Lina

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